Bechstein, Rückenschmerzen und Hirschmedaillons… / Bechstein, back pain and venison medallions…

in Deutsch Unplugged2 months ago

english below…

Ich weiß… Diesmal gab es echt eine lange Sendepause aus der Raben-Ecke. Seht es mir bitte noch eine Weile nach: ich bin weiter regelmäßig hier und hänge mich in gerne in Diskussionen, die sich da anbieten. Ich pflege auch meine kleine, feine Community weiterhin und sorge weitgehend für Ordnung. Mehr – geht gerade kaum.

Um es auf den Punkt zu bringen: wir sind überarbeitet. Ich bin überarbeitet. Ich schreie noch nicht „Krise!“, aber ich achte ganz genau auf Anzeichen von Überforderung und passe auf, nicht allzu weit über meine Grenzen zu gehen…

Aktuell waren wir bereits über eine Woche nicht mehr im künftigen Domizil, weil ich einen fordernden Kunden am Hals auf dem Terminkalender hatte: Das Living Berlin.

Diese Berliner Niederlassung einer Kette von Möbel- und Designcentern der Luxusklasse nennt sich auf ihrer Webseite kühn „das führende Haus in Sachen erlesenes Interieur“ und es mag sein, daß es diese Selbstbezeichnung sogar verdient. Fakt ist, daß sie unabhängig davon seit über vier Jahren stetig an Kundschaft verliert.

An dieser Stelle, und zwar ziemlich kurzfristig, komme ich ins Spiel. Habe mich diese Tage also nicht mit Kläranlagen beschäftigt, sondern dem zweiten Standbein Marktforschung. Und zwar dem recht spannenden Bereich der Marktanalyse.

Das moderne, großzügige Haus, das ich in- und auswändig kennen lernen durfte – ich hatte von dieser hochkarätigen Adresse zuvor nie etwas gehört – ist ein wunderbar angenehmer Ort mit viel Potential. Ich habe mich noch nie so wohl in einem Einkaufscenter gefühlt, und das lag an den nicht vorhandenen Kunden. Buchstäblich: der Tagesdurchschnitt unter der Woche lag bei 13 Besuchern. Die haben natürlich nicht alle etwas gekauft…

Was für mich paradiesisch anmutete, ist für die ansässigen Händler natürlich eine Katastrophe! Die Showrooms, Flagshipstores und Markenbotschafter vor Ort bieten ein feines, umfangreiches und vollendetes Kundenerlebnis – für die Schönen und Reichen. Die sind vielleicht etwas weniger reich als noch vor fünf Jahren, aber immer noch willig, ihr Vermögen in Rolf Benz- Sofas und Bechstein-Flügel zu stecken.

Im Management des Centers gab es in den letzten Jahren fortlaufend viele Veränderungen und Wechsel, was der Philosphie des Hauses deutlich Abbruch getan hat. Dazu kommen Abgänge von Händlern aus wirtschaftlichen (oder juristischen) Gründen, die Baustellen-Situation im näheren Umfeld und… Mängel. Dumme Ideen junger, wilder Marketingexperten.

Ich habe eine gute Woche darauf verwendet, Ursachenforschung zu betreiben und Meinungsbilder bei Mitarbeitern, Mietern, Kunden und Lieferanten einzuholen. Jetzt bin ich müde und ernüchtert.

Ist nicht meine Art Ladengeschäft, nicht mein Stil und nicht meine Preisklasse. Aber ich habe eine konkrete Vorstellung, wie es dort laufen müßte. Im Gegensatz dazu sieht es in der Realität so aus, daß es als einziges gastronomisches Angebot ein winziges Bistro mit 8 Plastikstühlen an zwei Tischen gibt, das keine Kaffeemaschine hat, drei bis vier Tage alten Käsekuchen anbietet und keine Barzahlung akzeptiert. Ein Trauerspiel!!! Lieferanten und Spediteure können nicht mehr auf den Hof fahren, aus ökologischen Gründen wird nicht mehr geheizt im Center und die internen Angestellten verdienen aktuell wenig mehr als Mindestlohn.

Sagte ich schon: Trauerspiel?!

Ja, es gibt wiederum ein neues Management seit vier Wochen – mit frischen Ideen und Kreativität, einer Menge Ambitionen und scheinbar auch Durchsetzungsstärke. Auf meine Frage, warum wir nicht vor Eintreten der absoluten Katastrophe gerufen würden, bekam ich dennoch die Antwort, das wäre zu teuer…

Mittlerweile sind in der obersten Etage keine Stores mehr, sondern nur noch Büros, in den anderen Stockwerken stehen etliche Läden leer. Kein Publikumsverkehr mehr, der den Namen verdient und fast ausschließlich kritische Bewertungen auf den einschlägigen Portalen.

Ich bin noch bei der Auswertung meiner Beobachtungen und von Empfehlungen weit entfernt. Es steht für mich jedoch zu befürchten, daß es eine weitere Schließung im Einkaufscenter-Segment geben wird: auch die Edelausstatter bleiben nicht verschont.

Nach acht Tagen, in denen mein Schrittzähler fast explodiert ist, spüre ich meinen Rücken mehr als während unserer sehr anstrengenden Bauarbeiten und das macht mir schon Kummer: der Lauf der Jahre wird einem mit jedem Wehwehchen bewußter. Autsch!

Zur Belohnung gab es bei uns heute Hirschmedaillons mit Buttermöhren und Salzkartoffeln. Das klingt danach, als ob ich auf den Luxus-Zug aufgesprungen wäre, der mich die letzte Zeit beschäftigt hat. Scheint aber nur so – bei meinem derzeitig bevorzugten Lebensmittel-Lieferanten Knuspr gibt es neben dem normalen Sortiment auch Produkte aus der Lebensmittelrettung. Also Artikel mit entweder beschädigter Verpackung oder bald ablaufendem Mindesthaltbarkeitsdatum. Da kann man dann auch schon einmal Feinkostartikel zum Schnäppchenpreis erwerben. Unsere 400g Hirschmedaillons – superzart, mager und dennoch saftig – gab es für nur 4 Euros anstatt der üblichen 22 €. Haben wir sehr genossen!

Mit dieser Idee im Hinterkopf (auch Luxusartikel gelegentlich für einen breiteren Kundenkreis erschwinglich zu machen und daraus neue Wertschätzung zu generieren) mache ich mich an meine „Hausaufgaben“. Beobachtet gerne, was sich tut im Living Berlin in den nächsten Monaten…!

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english version:

I know... This time there's been a really long break from the Ravens' Corner. Please bear with me for a while: I'm still here regularly and like to get involved in any discussions that come up. I also continue to look after my small, fine Community and largely keep things tidy. More - hardly possible right now.

To put it in a nutshell: we are overworked. I am overworked. I'm not shouting ‘crisis!’ just yet, but I'm keeping a close eye out for signs of overwork and taking care not to go too far beyond my limits...

We haven't been to the future domicile for over a week now because I had a demanding customer on my neck on the schedule: The Living Berlin.

This Berlin branch of a chain of luxury furniture and design centres boldly calls itself ‘the leading house for exquisite interiors’ on its website, and it may well be that it even deserves this self-description. The fact is, however, that it has been steadily losing customers for over four years.

This is where I come in, and at fairly short notice. So these days I have not been dealing with sewage treatment plants, but with the second mainstay of market research. And the rather exciting area of market analysis.

The modern, spacious store, which I was able to get to know inside and out - I had never heard of this high-calibre address before - is a wonderfully pleasant place with a lot of potential. I've never felt so comfortable in a shopping centre before, and that was due to the lack of customers. Literally: the daily average during the week was 13 visitors. Of course, not all of them bought anything...

What seemed like paradise to me is of course a disaster for the local retailers! The showrooms, flagship stores and brand ambassadors on site offer a fine, comprehensive and perfect customer experience - for the rich and beautiful. They may be a little less rich than they were five years ago, but they are still willing to spend their fortunes on Rolf Benz sofas and Bechstein grand pianos.

There have been many changes in the centre's management over the last few years, which has clearly detracted from the philosophy of the store. Added to this are the departure of retailers for economic (or legal) reasons, the building site situation in the immediate vicinity and... shortcomings. Stupid ideas from young, wild marketing experts.

I spent a good week researching the causes and gathering opinions from employees, tenants, customers and suppliers. Now I'm tired and disillusioned.

It's not my kind of shop, not my style and not my price range. But I have a concrete idea of how things should be run there. In contrast, the reality is that the only catering offer is a tiny bistro with 8 plastic chairs at two tables, no coffee machine, three to four day old cheesecake and no acceptance of cash. A tragedy!!! Suppliers and hauliers can no longer drive into the yard, the centre is no longer heated for ecological reasons and the internal employees currently earn little more than minimum wage.

Did I already say: tragedy!

Yes, there has been a new management team in place for four weeks now - with fresh ideas and creativity, a lot of ambition and apparently a lot of assertiveness. When I asked why we weren't called before the absolute catastrophe occurred, I was nevertheless told that it would be too expensive...

In the meantime, there are no longer any stores on the top floor, only offices, and a number of shops are empty on the other floors. No more public traffic worthy of the name and almost exclusively critical reviews on the relevant portals.

I am still analysing my observations and am a long way from making any recommendations. However, I fear that there will be further closures in the shopping centre segment: even the high-end retailers will not be spared.

After eight days in which my pedometer has almost exploded, I feel my back more than during our very strenuous building work and that is already causing me grief: you become more aware of the passing of the years with every little ache. Ouch!

As a reward, we had venison medallions with buttered carrots and boiled potatoes today. Sounds like I've jumped on the luxury bandwagon that's been keeping me busy lately. But it only seems that way - my current favourite food supplier, Knuspr, also has food rescue products in addition to the normal range. In other words, items with either damaged packaging or a best-before date that is about to expire. This means that you can sometimes buy delicatessen items at a bargain price. Our 400g venison medallions - super tender, lean and yet juicy - were available for just €4 instead of the usual €22. We really enjoyed it!

With this idea in mind (to occasionally make luxury items affordable for a wider customer base and generate new appreciation), I set about doing my ‘homework’. Keep an eye on what happens at Living Berlin over the next few months...!

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 2 months ago 

Living Berlin, nie gehört. Ist wohl auch nicht meine Preisklasse ;-))

Man sollte meinen, dass ein Kaufhaus für die gehobene Klientel nicht so wenig Anklang findet. Schließlich kann man dort sozusagen unter sich so richtig den Beutel klingen lassen.
Es ist wahrscheinlich schon so, dass man auch oder gerade in diesen Kreisen was bieten muss, um sich von den vielen Einkaufszentren abzuheben. Außerdem dachte ich eigentlich, Marktanalysen seien obligatorisch in diesem Bereich. "Zu teuer" klingt angesichts des hochpreisigen Angebots doch irgendwie... strange. Ohne Marktanalyse kriegt man doch gar keine (Fremd-)Finanzierung hin. Aber wahrscheinlich lief es anfangs schon gut, und was in den letzten vier Jahren passierte, wissen wir alle.

Wenn du uns auf dem Laufenden hältst, werde ich gern verfolgen, wie es mit dem "Living" unter deiner Begleitung weitergeht. Ansonsten gerate ich aber wohl nicht in Gefahr nach der Adresse zu googlen :-)

 2 months ago 

So viele berechtigte Annahmen haben sich in letzter Zeit als grundfalsch herausgestellt... Obligatorisch scheint gar nix. Eine Menge schöner Schein, heiße Luft und große Töne. Ich bin echt... Ach, was soll's.

This is very sad. The end of malls and Prime Nevada. On the border of California and Nevada sat Primm Mall and it was attached to a casino. There is gambling in Nevada.

The mall was a special kind mall. All the stores were manufacturer or department store clearance stores. Everything was marked down a lot because it was after season or last year's stuff.
It was great. There was clothing, shoes, suits, camping/sports equipment, toys, and all kinds of things even a Nordstrom's, Macy's and those are high end.

They had a food court too.

I wanted to go there last month and buy suits which were usually about 25% but all 214 stores were closed.

This happened before when the Democrats were in power under President Obama. The number of store and business shutdowns/closings is insane. Yet we are told that all is good and the economy is expanding and wonderful by people who never go visit the world they rule and who surround themselves with sycophants.

Two nights ago, there was a story about thieves who manufactured a clip on credit card reader part that looked like the real thing which attached to a store's credit card reader which was so perfect, no one noticed it. When people slid their card through it stole their number and all data.

What comes next? An attacking country steal from a satellite link in outer space from a company?

Somebody had to manufacture the part that clipped on perfectly to the card reader and people did not notice that there was a slide card reader on both sides of the card reader. It was a busy grocery store named Oceanfront in Salt Lake City and some other stores that had many, many customers per hour.

Then, the internet can be manipulated to where no advertising by a business occurs or there a Denial of Service attack against a business or a church, or anything.

It's insane.

 2 months ago 

Das ist ja auch irgendwie spannend, ein Unternehmen zu beurteilen, bei dem man selbst nie einkaufen würde. Vielleicht kommt aber gerade so die bei solchen Analysen nötige Objektivität besser zur Geltung.
Apropos Objektivität. Diskretion? Müsst ihr bei solchen Aufträgen nicht sowas wie eine Schweigepflicht unterzeichnen? Ich wäre als Auftraggeber ziemlich sauer (höflich ausgedrückt), wenn ich noch vor Erhalt der Ergebnisse "Trauerspiel" und Schlimmeres über meine namentlich genannte Filiale veröffentlicht wüsste.

 2 months ago 

Hihi. Normalerweise ja. In diesem Fall explizit nicht. Ich bin nicht sicher, was genau dahinter steckt, vielleicht die Hoffnung, etwas ins Gespräch zu kommen.

 2 months ago 

Das nenne ich Kontrast, mal Kläranlagen optimieren und möglichst nebenbei eine Marktanalyse für ein Einkaufscenter erstellen. Da ist sehr unterschiedliche Expertise gefragt. Und das alles, wo ihr noch zwei eigene Baustellen zügig beenden wollt. Spätestens danach solltet ihr eine ausgiebige Pause machen und die neue Umgebung genießen. Nach dieser Pause wird es nur so aus euch heraus sprudeln, was die Federkiele oder Tastaturen hergeben.

I can’t imagine the stress you are going through both professionally and personally especially from the new home.

Stupid ideas from young, wild marketing experts.

Lol… please, forgive them! It must have worked for them in their former place of work…Thank God, you’re now here to redeem them from the mistakes they have made!! 😊😊😊

But sincerely speaking, you really need a lot of rest to calm your nerves down and a lot of that venison medallions and boiled potatoes, to make the rest worthwhile.😊