Ich hab' da 'mal ein Thema - oder: Wer braucht schon eine "Blood Rule"...? / I've got a topic here – or: Who needs a ‘Blood Rule’...?

in Deutsch Unplugged2 months ago

english below...

Ich bin nicht die erste, die sich zum Thema ereifert und ich werde nicht die letzte sein: und das ist gut so! Es kann gar nicht genug Stimmen geben, die endlich darauf bestehen, daß im Wettkampfsport die Rechte der Tiere, der Tierschutz nicht auch noch ganz offiziell mit Füßen getreten werden kann…!

Aber wovon rede ich eigentlich?

Jeder hat schon von Skandälchen und Skandalen im Reitsport gehört. Große Namen wurden in Verbindung gebracht mit aus gutem Grund verbotenen Praktiken beim Training der Sportpferde, exemplarisch genannt das Barren oder die Rollkur. Für den interessierten Laien: beim Barren schlägt man dem Pferd beim Springtraining kurz nach dem Absprung mit Stangen gegen die vorderen Röhrbeine. Der Effekt soll sein, daß die Tiere ihre Beine dichter an den Leib ziehen und dadurch etliche Zentimeter höher springen. Es ist brutal und es funktioniert. Die Rollkur bedient den Wunsch nach einem schön rund gebogenen Hals des Pferdes in der Dressur. Dieser vermeintlich sehr edle und erhabene Anblick wird erzielt, indem man das Pferd so eng ausbindet, daß das Kinn fast auf‘s Brustbein gezerrt wird. So läuft es dann permanent, bis es sich diese unnatürliche und gesundheitlich fatale Haltung angewöhnt hat. Häufige Folge sind übrigens Muskelrisse, die zu sehr unschönen Dellen im Halsbereich führen…

Nun, Reiter sind im allgemeinen „Pferdemenschen“; sie lieben ihre Tiere, trainieren hart, um im Sattel eine gute Figur zu machen. Sie verbringen den überwiegenden Teil ihrer Zeit im Stall, opfern jeden verfügbaren Euro für ihr Pferd und seine Versorgung und sind die besten Freunde des Tierarztes, Hufschmieds und Osteopathen. Die, die ich kenne, mit denen ich zu tun habe und mit denen ich mich vergleiche. Nennen wir sie Freizeitreiter, Wanderreiter oder meinetwegen einfach Pferdeliebhaber.

Wenn man diesen Kreis einmal verläßt und in die Riege der Turnierreiter aufsteigt, verändern sich die Prioritäten. Reitsport ist eine teure Angelegenheit. Rechnen läßt sich der nur mit einem Vermögen in der Hinterhand oder mit spektakulären Erfolgen auf internationalem Parkett. Und ab da wird es ungemütlich…

Das Pferd ist nicht mehr Wendys bester Freund, sondern ein Sportgerät, das funktionieren muß. Und wird auch so behandelt. Leider sind es gar nicht wenige Reiter der Spitzenklasse, denen gesunderhaltendes Reiten ein Fremdwort ist oder aber ein Relikt aus der eigenen, vom Leistungsdruck unbelasteten Vergangenheit. Es sind nicht alle. Das sei ganz klar gesagt: es gibt wunderbare Pferdeleute auch unter den Champions. Mein Problem sind die anderen – die fatalerweise auf den Turnieren mit ihren immer spektakuläreren Gängen, Figuren, Sprüngen, Ausdrücken stets die höheren Punktwertungen bekommen und dadurch in ihrem Handeln bestärkt werden.

So wie es in Deutschland die FN gibt, die Deutsche Reiterliche Vereinigung, so existiert im internationalen Reitsport die FEI. Die nationalen und die internationale Vereinigung wurden zu dem Zweck ins Leben gerufen, Regelwerke zu etablieren, nach denen man gutes reiterliches Können und Verhalten bemißt. Nach sehr unschönen Jahren, in denen das Tierwohl nur eine untergeordnete Rolle spielte, wurden um die Jahrtausendwende viele Neuerungen eingeführt, die dem Tierschutz dienen sollten und die seitdem auch recht streng kontrolliert und sanktioniert werden.

Die professionellen Reitställe, die Reiter ohne pferdefreundliche Einstellung und die Sponsoren beklagen diese Strenge und starten regelmäßig neue Anläufe, das Regelwerk wieder aufzuweichen. Jüngst wurde ein Vorschlag eingereicht, die sogenannte „Blood Rule“ („Blutregel“) zu streichen.

Was besagt die denn? Ganz einfach: wenn auf einem Turnier vor Antritt des Wertungsritts oder währenddessen Blut am Pferd festgestellt wird, wird das Tier aus dem Wettkampf genommen. Die Herleitung ist logisch: ein blutendes Pferd ist verletzt, hat Schmerzen, ist beeinträchtigt. Das Blut rührt in der Regel von zu scharfem Gebiß, zu enger Verschnürung der Gurte und Riemen an Bauch und Kopf, falschem Gebrauch zu spitzer Sporen oder Schlägen her. Natürlich muß so ein Mißbrauch strikt unterbunden werden! Es ist Tierquälerei aus den niedrigsten vorstellbaren Motiven.

Es gab Diskussionen über diese Regel, weil die strikte Auslegung dazu führte, daß auch Pferde, die von einer Bremse gestochen wurden, was durchaus zu einer gewissen Menge Blut auf dem Fell führen kann (gerade bei Schimmeln), disqualifiziert wurden. Es sollte für diese Fälle ggf. die Möglichkeit der einzelfallprüfung geben: ist das Pferd weiter wettkampftauglich oder zu nervös bzw. abgelenkt durch den Stich?

Nun, nicht deswegen soll diese Regel nach dem aktuellen Vorstoß des holländischen und dänischen Verbandes aufgehoben werden. Nein. Die Argumentation lautet allen Ernstes: die Parcours und Figuren in den heutigen Prüfungen sind so anspruchsvoll geworden, daß dem Reiter alle technischen Hilfs- und Zwangsmittel zur Verfügung stehen müssen – und dabei kann sich ein Pferd schon mal auf die Zunge beißen oder die Haut aufscheuern.

Und ich bin jetzt sprachlos.

Das ist die offizielle Inkaufnahme von Tierleid zur Erreichung blödsinniger, unnatürlicher und schädlicher Effekte. Pferde sind hochsensible Lebewesen, die auf die bloße Berührung ihres Fells an der Flanke reagieren: mehr Einwirkung braucht es nicht, um die Mitarbeit des Tieres abzurufen. Wenn die allerdings nicht ausreicht, wenn immer mehr und immer stärker gepusht werden soll, nimmt der schöne Sport grausame Züge an. Pferde haben keinen Schmerzlaut; als Fluchttiere würden sie ihrem Beutegreifer damit Hinweise auf Schwäche geben. Sie leiden stumm...

Die Beteiligten im Turnierzirkus sind Teil eines eng verzahnten Systems, in dem ein Glied vom anderen abhängt und ein Ausstieg aus moralischen Gründen fast nicht ohne Kollateralschäden möglich ist. Es gibt dennoch bewundernswerte Persönlichkeiten, die zunächst versucht haben, ihre Werte in den Vereinigungen durchzusetzen und das Tierwohl konsequent ganz oben auf die Agenda zu bringen – und nach ihrem Scheitern mit diesem Anliegen ebenso konsequent ihren Rückzug erklärt haben, weil sie nicht länger Teil dieser unsäglichen Maschinerie sein wollten. Wer ein Beispiel sucht: Julie von Bismarck…

Heute bitte ich Euch, die Petition durchzusehen, die gegen die Aufhebung der Blood Rule gestartet wurde: nur der europaweite Protest der Massen, der Zuschauer, der Pferdefreunde, kann die FEI bewegen, sich pro Pferd zu entscheiden und dem Antrag auf Regelaufhebung nicht stattzugeben.

https://www.change.org/p/blut-am-pferd-stopp-save-the-no-blood-rule?source_location=my_petitions_list

Wenn Ihr ein Herz für Pferde habt, wenn Ihr nicht zusehen wollt, wie es zurück zur Barbarei auf dem Turnierplatz geht: unterschreibt! Ihr tut nicht nur mir einen Gefallen; Ihr helft denen, die keine Stimme haben. Teilt die Petition auch gerne mit Euren Freunden und Kontakten: wir brauchen viele Stimmen aus aller Welt!

Ich danke Euch und ich halte Euch auf dem Laufenden – am 5.11. wird planmäßig die Abstimmung stattfinden.

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english version:

I am not the first to get worked up about this issue, and I will not be the last: and that's a good thing! There can never be enough voices insisting that animal rights and animal welfare cannot be officially trampled on in competitive sports...!

But what am I actually talking about?

Everyone has heard of small and not so small scandals in equestrian sports. Big names have been associated with practices that have been banned for good reason in the training of sport horses, such as barring or the rolling cure. For the interested layman: in barring, the horse is struck on the front legs with bars shortly after take-off during jumping training. The effect is supposed to be that the animals pull their legs closer to their bodies and thus jump several centimetres higher. It is brutal and it works. The rolling cure serves the desire for a beautifully curved neck of the horse in dressage. This supposedly very noble and sublime sight is achieved by tying the horse so tightly that its chin is almost pulled onto its sternum. This continues until the horse has become accustomed to this unnatural and unhealthy posture. A common consequence of this is muscle tears, which lead to very unsightly dents in the neck area…

Well, riders are generally ‘horse people’; they love their animals and train hard to look good in the saddle. They spend most of their time in the stable, sacrifice every available penny for their horse and its care, and are the best friends of the vet, farrier and osteopath. Those I know, those I deal with and those I compare myself to. Let's call them leisure riders, trail riders or, for that matter, simply horse lovers.

Once you leave this circle and join the ranks of competitive riders, your priorities change. Equestrian sports are an expensive business. It only pays off if you have a fortune behind you or spectacular successes on the international stage. And that's where it gets uncomfortable...

The horse is no longer Wendy's best friend, but a piece of sports equipment that has to perform. And it is treated as such. Unfortunately, there are quite a few top-class riders for whom healthy riding is a foreign concept or a relic from their own past, unburdened by the pressure to succeed. Not all of them, mind you. Let's be clear: there are wonderful horse people among the champions too. My problem is with the others – who, fatally, always get the higher scores at competitions with their increasingly spectacular gaits, figures, jumps and expressions, and are thus encouraged in their actions.

Just as Germany has the FN, the German Equestrian Federation, international equestrian sports have the FEI. The national and international federations were created for the purpose of establishing rules and regulations for assessing good riding skills and behaviour. After some very unpleasant years in which animal welfare played only a minor role, many innovations were introduced at the turn of the millennium to promote animal welfare, and these have since been strictly monitored and sanctioned.

Professional riding stables, riders without a horse-friendly attitude and sponsors complain about this strictness and regularly make new attempts to soften the rules. Recently, a proposal was submitted to abolish the so-called ‘blood rule’.

What does this rule say? Quite simply, if blood is found on a horse before or during a competition, the animal is removed from the competition. The reasoning is logical: a bleeding horse is injured, in pain and impaired. The blood is usually caused by bits that are too sharp, straps and girths that are too tight around the belly and head, incorrect use of spurs that are too sharp, or blows. Of course, such abuse must be strictly prohibited! It is animal cruelty motivated by the lowest possible motives.

There has been discussion about this rule because its strict interpretation meant that even horses that had been bitten by a horsefly, which can cause a certain amount of blood on the coat (especially in white horses), were disqualified. In such cases, there should be the option of assessing each case individually: is the horse still fit to compete or is it too nervous or distracted by the bite?

Well, that is not why this rule is to be abolished following the current initiative by the Dutch and Danish federations. No. The argument is, in all seriousness, that the courses and figures in today's competitions have become so demanding that riders must have all technical aids and coercive measures at their disposal – and in the process, a horse may bite its tongue or chafe its skin.

And now I am speechless.

This is the official acceptance of animal suffering in order to achieve nonsensical, unnatural and harmful effects. Horses are highly sensitive creatures that react to the mere touch of their coat on their flank: no more influence is needed to elicit the animal's cooperation. However, if that is not enough, if more and more pressure is to be applied, this beautiful sport takes on cruel characteristics. Horses do not cry out in pain; as flight animals, doing so would give their predators clues as to their weakness. They suffer in silence...

Those involved in the tournament circus are part of a closely interlinked system in which one link depends on another and it is almost impossible to leave for moral reasons without causing collateral damage. Nevertheless, there are admirable individuals who initially tried to enforce their values in the associations and consistently put animal welfare at the top of the agenda – and after failing in this endeavour, just as consistently declared their withdrawal because they no longer wanted to be part of this unspeakable machinery. If you are looking for an example: Julie von Bismarck...

Today, I ask you to review the petition that has been launched against the repeal of the Blood Rule: only the worldwide protest of the masses, the spectators, the horse lovers, can move the FEI to decide in favour of the horses and not to grant the request to repeal the rule.

https://www.change.org/p/blut-am-pferd-stopp-save-the-no-blood-rule?source_location=my_petitions_list

If you have a heart for horses, if you don't want to see a return to barbarism in the show ring: sign! You're not just doing me a favour; you're helping those who have no voice. Please share the petition with your friends and contacts: we need lots of voices from all over the world!

Thank you, and I'll keep you updated – the voting is scheduled to take place on 5th November.

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Wirklich großartig geschrieben – und vor allem ehrlich.
Man spürt zwischen den Zeilen, dass hier jemand schreibt, der Pferde versteht, nicht nur benutzt.

Was mich beim Lesen besonders bewegt hat, ist der größere Mechanismus dahinter:
Es ist immer derselbe Kipppunkt, an dem Idealismus der Ökonomie weicht.
Ob im Sport, in der Justiz, in der Verwaltung oder in der Politik – sobald Erfolg und Profit wichtiger werden als Haltung, verliert das System seine Seele.

Die „Blood Rule“ steht damit sinnbildlich für ein viel tieferes Problem:
Wir schaffen Regeln, um Menschlichkeit zu sichern – und sobald sie unbequem werden, erklären wir sie zur „Überregulierung“.
So beginnt jede schleichende Rückentwicklung zur Barbarei – leise, rationalisiert, mit schönen Worten verpackt.

Danke, dass du das Thema mit solcher Leidenschaft und Klarheit ans Licht bringst.
Manchmal ist Moral die letzte Verteidigungslinie – und du erinnerst daran, dass sie es wert ist, verteidigt zu werden. 🕊️

 2 months ago 

Ich habe schon viele Illusionen verloren, aber daß Menschlichkeit, basierend auf Vernunft und Moral, generell Grundlge für unser Denken und Handeln sein soll, lasse ich mir nicht ausreden. Ich weiß, daß es viele so sehen. Ich hoffe, die nutzen ihr Gewicht...

Genau das ist der Punkt. Vernunft ohne Moral ist kalt – Moral ohne Vernunft ist blind. Wir brauchen beides, gerade jetzt.