Der Anrufbeantworter
Ein Schattenlied aus verwehten Echos
Von Hans Hässig, Fischer der zerbrochenen Träume

Ein Knarren fährt durch die Halle, dumpf und alt wie das Gestöhn von Eisen, das zu lange geschwiegen hat. Ich sitze vor dem flackernden Rechner, das fahle Licht des Teleschirms frisst sich in die Nacht. Und ich denke an ein Ding, das die Welt längst vergessen hat, den Anrufbeantworter.
Ein Relikt aus Fleisch und Strom, halb Maschine, halb Erinnerung. Eine kalte Schachtel mit Seele, die Stimmen frass und sie ausspuckte, wenn niemand mehr da war, um sie zu hören. Das Band roch nach Staub, Schweiss und Wahrheit.
Damals stand er in den Wohnzimmern wie ein stummer Priester. Kein Algorithmus, kein Filter, keine Lüge. Nur Stimmen, zitternd, roh, menschlich. Ich höre sie noch, das Piepen, scharf wie ein Nadelstich in der Stille. Das rote Lämpchen blinkte wie ein sterbender Stern, ein letzter Herzschlag aus einer Zeit, in der Ehrlichkeit noch Gewicht hatte.
Nostalgie? Nein. Nostalgie ist Parfüm für die, die nie wirklich geblutet haben.
Was bleibt, ist Trauer.
Ich erinnere mich an Stimmen, die nie wieder sprechen werden, Freunde, Liebhaber, verlorene Gesichter im Dunst. Ihre Worte, gebannt auf Band, wie Nachrichten aus dem Jenseits. Eine Stimme, brüchig, flüsternd:
"Hans... ich kann nicht mehr."
Kein Gefühl. Kein Dopamin. Nur Klang. Nur Mensch. Das Band drehte sich weiter, gleichgültig, als wüsste es, dass Zeit nichts heilt, sie radiert nur.
Heute gibt es keine Bänder mehr. Nur Netze. Klebrig. Digital. Kalt.
Jede Nachricht ein Haken, jeder Ping ein Befehl. Sie nennen das "Verbundenheit". Ich nenne es Kettenklirren. Immer erreichbar, nie anwesend.
Und sie verkaufen diese Erschöpfung als Fortschritt.
Ich spuck drauf.
Der Anrufbeantworter zwang dich zur Geduld. Zum Zuhören. Zum Denken.
Zwischen Piepen und Antwort lag Raum, leer, still, echt.
Heute ist Stille verdächtig. Jeder will senden, keiner empfangen. Worte tropfen, bedeutungslos wie Regen auf Beton.
Und irgendwo tief im Brummen der Server stirbt die Echtheit, leise, unbemerkt.
Ich atme, weil ich die Schreie nicht vergessen will, weder die der Tiere, noch die der Menschen, die in Daten ersticken. Der Anrufbeantworter war wie ich: ein Aussenseiter, rostig, unbequem, aber aufrecht.
Er sammelte Stimmen, keine Klicks.
Er bewahrte das, was Menschsein ist, die Fehler, die Pausen, die Angst zwischen zwei Atemzügen.
Jetzt liegt er auf einem Schrottberg, begraben unter Elektroschrott und Gleichgültigkeit.
Doch manchmal, in diesen Nächten, wenn der Wind durch die Risse meiner Halle pfeift, höre ich ihn wieder. Ein leises Piepen. Ein Summen. Vielleicht das letzte Atemholen der Ehrlichkeit.
Ich lehne mich zurück.
Der Hut tief im Gesicht.
Der Wind kratzt an den Fenstern, und irgendwo in der Dunkelheit läuft ein altes Band weiter.
Niemand hört es.
Ausser mir.
Der Fischer hat geflüstert.

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