Der zweite Stern - Warum Frankreich ein würdiger Weltmeister ist und was letztlich den Unterschied gemacht hat.
Man kann über die Franzosen sagen was man will, aber sie sind der neue Fußball-Weltmeister. Warum sie es auch verdient haben, das erfahrt ihr in den folgenden Zeilen ...
Die Erfolgsgeschichte begann schon unmittelbar nach einer der größten Niederlagen der Verbandsgeschichte bei der Heim-EM am 10. Juli 2016 mit dem 0:1 im Pariser Stade de France gegen Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo. In einer dramatischen Verlängerung setzte in der 109. Minute mit Éder ausgerechnet ein Mann der in Frankreich beim OSC Lille sein Geld verdient, den Träumen der Grande Nation ein Ende.
Im ersten Spiel der anschließenden WM-Qualifikation im September 2016 schienen sich die Franzosen allerdings noch nicht vom Schock erholt zu haben: Bei Außenseiter Weißrussland kommt man nicht über ein 0:0 hinaus. Mit Varane, Pogba, Griezmann, Giroud und Kantè standen damals nur fünf aktuelle Weltmeister in der Start-Elf.
Der große Befreiungsschlag gelang den Franzosen dann aber gegen Bulgarien, als man daheim 4:1 gewann. Das gab den Mannen von Didier Deschamps sichtlich Auftrieb: In einem starken Herbst schlug man Gruppen-Mitfavorit Niederlande auswärts 1:0, die starken Schweden zuhause 2:1 und gab sich im März 2017 mit einem 3:1 in Luxemburg ebenfalls keine Blöße. Zur Halbzeit der Qualifikation führte man die Tabelle mit nur 3 Gegentoren souverän an.
Diese Souveränität wurde allerdings im Juni mit einer Last-Minute-Niederlage in Solna gegen Schweden (Ola Toivonen traf in Minute 93. zum umjubelten 2:1) auf den Prüfstand gestellt. Dass man dies als kleinen Ausrutscher auf dem Weg nach Russland titulieren konnte, bewies man beim bärenstarken 4:0 gegen die schwächelnden Niederlande. Griezmann, Lemar (2x) und Mbappé trafen im Saint Denis. Zwar folgte auf diese Gala ein mageres 0:0 in Luxemburg, Siege in Bulgarien (2:1) und gegen Weißrussland (1:0) bedeuteten letztlich aber doch den souveränen Sieg in Gruppe A mit 4 Punkten Abstand auf Schweden.
Vor der WM ließ Trainer Deschamps mit, für viele doch recht unerwarteten Personalentscheidungen, aufhorchen: Unter anderem sind Alexandre Lacazette, Kingsley Coman, Dimitri Payet, Anthony Martial und Adrien Rabiot von PSG nicht im französischen Kader. Eine mutige Entscheidung, die Deschamps im Falle eines Scheiterns wie ein scharfer Bumerang den Kopf kosten könnte.
Der WM-Auftakt gegen die Socceroos aus Australien bringt zunächst eine weitere Überraschung in Sachen Aufstellung mit sich: Den defensiven Part auf den Außenbahnen übernehmen mit Lucas Hernandez und Benjamin Pavard zwei Jungspunde die es vor der WM zusammen auf gerade einmal zarte 11 Länderspieleinsätze bringen. Der Mut von Deschamps wird letztlich mit einem nicht herausragenden aber umkämpften 2:1 belohnt.
Im zweiten Gruppenspiel gegen Peru muss der gegen Australien blass wirkende Dembélé für Arsenal Sturmtank Giroud weichen. In einer intensiven Partie sind es trotz weniger Ballbesitz wieder die Franzosen die letztlich abgebrühter wirken, und das Spiel, dank eines immer besser in Fahrt kommenden Kylian Mbappé knapp mit 1:0 für sich entscheiden. Da im Parallel-Spiel Australien gegen Dänemark unterliegt ist der Vize-Europameister schon vorzeitig für das Achtelfinale qualifiziert. Ein Fakt der Frankreich in der Endabrechnung einen entscheidenden Vorteil bringen sollte ...
Beim zugegebenermaßen alles andere als ansehnlichen Ballgeschiebe gegen Dänemark schonte der Sélectionneur mit Pogba, Umtiti, Mbappé, Lloris und Pavard fast die Hälfte seiner Stammkräfte. Auch Griezmann und Hernandez mussten nicht über die vollen 90 Minuten gehen. Das einzige 0:0 der Vorrunde war schon fast ein logisches Ergebnis.
Im Achtelfinale gegen Argentinien packte Frankreich dann aber endgültig den Offensiv-Hammer aus und zeigte warum mit dieser Mannschaft alles möglich scheint. Nachdem man fast schon erwartungsgemäß durch einen Griezmann-Elfer in Führung gegangen war, bewiesen Le Bleus Moral und Durchschlagskraft:
Nachdem die Südamerikaner die Partie durch ein Traumtor von Di Maria und einem Abstauber von Mercado gewendet hatten, waren es die Youngsters Pavard mit einem der schönsten Treffer der WM, und zweimal Kylian Mbappè, die binnen 11 Minuten für die Vorentscheidung sorgten. Messi und Co. reichte auch ein Treffer von Aguero in der Nachspielzeit (3:4, 93. min) nicht, man war letztlich auch an der fantastischen Effizienz der Franzosen (4 Schüsse auf den Kasten - 4 Volltreffer) gescheitert.
Für den Erfolg gegen Uruguay im Viertelfinale waren einige Faktoren entscheidend. Erstens waren die Südamerikaner im Angriff durch den Ausfall von Cavani um gefühlte zwei Beine und einen torgefährlichen Kopf im Hintertreffen (bei allem Respekt vor Ersatzmann Stuani). Zweitens zeigte sich Lloris im Gegensatz zu Muslera, der den Ball beim 0:2 unglücklich über die Hände gleiten lässt, in absoluter Hochform. Und drittens hatte man mit Varane (lernt in Madrid neben Sergio Ramos in der Innenverteidigung) einen bärenstarken Kopfballspieler in den Reihen, der Griezmanns Freistoßflanke herrlich ins lange Eck bugsierte. Letzterer zeigte sich schon während dem Spiel als ganz großer Charakterspieler, verzichtete der Franzose doch aufgrund seiner engen Verbindungen zum Land (Uruguayaner Trainer in der Jugend; D. Godìn ist Pate seines Kindes) auf jeglichen Jubel.
Das Halbfinale gegen Belgien, die zuvor die favorisierten Brasilianer um Ball-Zauberer und Schauspieler Neymar eliminiert hatten, stand im Zeichen der wahrscheinlich besten zwei Torhüter des Turniers: Sowohl Lloris gegen Witsel & Alderweireld als auch Curtois gegen Pavard verdienten sich das Attribut "sicherer Rückhalt". Zum anderen begeisterten beide Teams mit durch blitzschnelles Umschalten geprägtem Offensivspiel. Dass letztlich ein Eckball, dem das 1:0 durch Umtiti folgt, das Spiel entscheidet, fällt in die Kategorie erarbeitetes Glück, da es den Franzosen im Gegensatz zu vielen anderen Mannschaften gelungen war, die brandgefährliche Offensiv-Achse um Hazard, De Bruyne und Lukaku so gut es ging zu neutralisieren.
Die Mannschaft war am Ziel: Endspiel gegen das Sensations-Team aus Kroatien. Selbige hatten für das Finale nicht nur einen Tag weniger Erholungszeit, sondern in Summe auch EIN GANZES SPIEL mehr bestritten als Le Bleus. Denn man musste bei allen K.O.-Spielen in die Verlängerung, zweimal gar bis ins Elfmeterschießen ... Und so setzte es im Spiel der Spiele nach 18 Minuten die erste kalte Dusche für die "Vatreni" (kroat. "Die Feurigen"). Es schien quasi eine Replik des Treffers gegen Uruguay, Freistoß Griezmann, Kopfball Varane ins Lange Eck. 1:0 Frankreich. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass es Mandzukic war der den Ball ins eigene Tor bugsierte.
Doch schon vor dem Spiel stand fest, dass der Comeback-Weltmeister Kroatien heißen würde, fast schon obligatorisch deswegen der wunderschöne Ausgleich durch Perisic. Dann sorgte der argentinische Schiedsrichter Nestor Pitana selbst für eine Art mentale Vorentscheidung: Ein äußerst fragwürdiges Handspiel wurde erst nach Minuten der Video-Analyse als solches interpretiert und Antoine Griezmann ließ sich das dritte Elfer-Tor der WM nicht entgehen. Zu diesem moralischen Rückschlag kam in der zweiten Halbzeit bei den Kroaten auch noch eine weder verwunderliche noch zu übersehende Erschöpfung hinzu. Spätestens nach dem 3:1 durch den Schlenzer von Pogba war die Moral der tapferen Karierten gebrochen. Mbappès 4:1 nur sechs Minuten später ließ dann keinen Zweifel mehr zu: Der Weltmeister 2018 heißt Frankreich! Dagegen half auch der kurze Aussetzer von Hugo Lloris, der Mandzukic mit einem missglückten Haken das 2:4 und einen Teil seiner Würde zurück schenkte, nichts.
Man könnte jetzt im Nachhinein sagen, hätte Frankreich diesen Elfer nicht bekommen, wäre die zweite Halbzeit wahrscheinlich offener verlaufen und die Kroaten hätten bis zum Herzstillstand gekämpft um den ersten Titel der Geschichte zu erreichen.
Man könnte jetzt im Nachhinein sagen, dass Kroatien ohne die drei Verlängerungen in Punkto Ausdauer noch eine Schippe hätte drauf legen können.
Man könnte jetzt im Nachhinein sagen, dass wenn Frankreich in einem Spiel einmal nicht in Führung gegangen wäre, alles anders kommen hätte können. Aber das alles sind Konjunktive, die am Tag danach nichts weiter sind als Realitätsflucht.
Was man allerdings mit Bestimmtheit sagen kann: Frankreich ist aufgrund des ausgeglichenen Kaders, der für den Gegner mörderischen Effizienz, eines schlauen und mutigen Trainers und natürlich auch einer Portion Glück hie und da ein VERDIENTER WELTMEISTER.