Größer, intelligenter, schneller

Wir werden immer größer: In diesem Jahrhundert ist die Körperlänge der Männer im Durchschnitt um vierzehn Zentimeter, die der Frauen um sieben Zentimeter angestiegen. Geht die Entwicklung linear weiter - und nichts spricht zurzeit dagegen - , erreichen die Männer um 2060 eine durchschnittliche Größe von exakt 193,5 Zentimetern. Das hat der Karlsruher Sportwissenschaftler Georg Kenntner hochgerechnet.

Damit nicht genug: Wir werden immer großköpfiger. Dabei, so formuliert es Kenntner, ''entrundet sich die Schädelform''. Man kann auch sagen: Dem Eierkopf gehört die Zukunft. Als Folge davon verformen sich Augäpfel und Kiefer. Immer mehr Menschen werden kurzsichtig und benötigen Zahnspangen. Auch werden die Menschen immer intelligenter. Diese Schlussfolgerung zieht der neuseeländische Politikwissenschaftler James R. Flynn, nachdem er weltweite Ergebnisse von Intelligenztests ausgewertet hat. Egal ob in Europa, Amerika, Australien oder in Japan oder China - die Menschen erzielten im Laufe der vergangenen fünf Jahrzehnte immer bessere Resultate bei der Untersuchung ihrer Denk- und Kombinationsfähigkeit: Bei einem Mittelwert von hundert Punkten stieg der Intelligenzquotient um drei Punkte pro Jahrzehnt. Und das nicht etwa nur in bildungsabhängigen Wissensbereichen, sondern auch auf dem so genannten ''kulturreduzierten'' Gebiet.

Also dort, wo mit abstrakten Denktests die nackte Intelligenz gemessen wird.
Sind dies Zeichen einer evolutionären oder nur einer vorübergehenden kulturellen Entwicklung? Ließen sich allfällige evolutionäre Veränderungen überhaupt nachweisen? Bezüglich der zunehmenden Körpergröße sind sich die Wissenschaftler einig: Grund für den Wachstumsschub ist nicht etwa, dass sich die genetische Ausstattung geändert hätte, sondern die Umweltbedingungen sind besser geworden. Außerdem ernähren wir uns ausreichend und gesund und achten zunehmend auf die Hygiene. Für den gestiegenen Intelligenzquotienten macht die amerikanische Psychologin Patricia Greenfield die Tatsache verantwortlich, dass sich im kulturellen Bereich so viel geändert hat - Erziehung, Urbanisation und Technologie: ''Es fällt auf, dass in der Zeitspanne, in der sich die Computertechnologie allgemein verbreitete, auch die Testergebnisse stärker anstiegen als zuvor.'' Das Fernsehen hat nach ihrem Urteil das Sprachvermögen der breiten Masse erweitert, wenn auch nur bis zu einer gewissen Schwelle; und Videospiele haben ihrer Meinung nach die visuelle Intelligenz der heute jungen Erwachsenen gefördert.

Doch es bleiben Fragen offen. Die Eigenschaften komplexer Systeme wie menschliches Verhalten lassen sich nicht nur aus den Eigenschaften ihrer Bausteine, der Gene, definieren. Beruht beispielsweise die Leistungssteigerung im Sport auf Genkonstellationen, Training, Ernährung oder mentalem Drill? Eins ist klar: Die physischen Leistungsgrenzen des Menschen sind noch nicht erreicht. Ständig brechen Spitzensportler die Weltrekorde - ein Ende ist nicht in Sicht. Dazu meint der Münchner Evolutionsbiologe Josef Reichholf: '' Die Evolution gibt ja nicht die Endfassung vor, sondern bestimmt nur die Rahmenbedingungen. Die Umwelt entscheidet dann, ob die Individuen die vollen Kapazitäten ausreizen können.'' Das trifft beispielsweise für die Entwicklung des Gehirns zu. Es benötigt schon während der Schwangerschaft ideale Versorgungsbedingungen, damit das wachsende Gehirn seine Möglichkeiten voll ausschöpfen kann. ähnliches gilt für sportliche Leistungen. Trotzdem ist der Einfluss von Ernährung und Training begrenzt - weltrekordverdächtige Höchstleistungen im Sport sind erblich bedingt. Spitzensportler stellen genetische Einzelerscheinungen dar. Freilich: Der heutige rege Austausch menschlichen Erbmaterials über Kontinente hinweg - die Wissenschaftler sprechen von Gendrift - erhöht die Chance für Ausnahmeerscheinungen.