Klarnamenpflicht – Wenn der Staat seine eigene Bequemlichkeit zur Tugend erklärt
Es klingt zunächst vernünftig. Fast harmlos sogar.
„Wer nichts zu verbergen hat, kann doch unter Klarnamen posten.“
Ein Satz, der so oft wiederholt wird, bis er wie gesunder Menschenverstand wirkt.
Doch genau hier beginnt die Täuschung.
Die aktuell wieder lauter geforderte Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken ist kein Instrument für mehr Rechtsstaatlichkeit, kein Beitrag zu „zivilisiertem Diskurs“ und kein Schutz vor Hass. Sie ist vor allem eines: die Umgehung eines rechtsstaatlichen Problems, das der Staat selbst nicht lösen will.
Das eigentliche Problem: Ermittlungsarbeit ist unbequem geworden
Wer heute auf Plattformen wie X (ehemals Twitter) wegen Beleidigung oder anderer Äußerungsdelikte angezeigt wird, erlebt zunehmend dasselbe Muster:
- Verfahren werden eingestellt.
- Nicht, weil kein Tatverdacht besteht.
- Sondern weil der Verfasser nicht ermittelt werden kann.
Warum?
Weil X seit geraumer Zeit nicht mehr freiwillig mit deutschen Staatsanwaltschaften kooperiert. Anfragen nach IP-Adressen oder Nutzerdaten werden routinemäßig beantwortet mit:
Bitte stellen Sie ein offizielles Rechtshilfeersuchen nach Irland oder in die USA.
Rechtsstaatlich korrekt.
Völkerrechtlich vorgesehen.
Juristisch völlig unproblematisch.
Das Problem liegt nicht bei X. Es liegt bei den deutschen Behörden.
Denn genau diese Rechtshilfeersuchen gelten vielen Staatsanwaltschaften als zu aufwendig, zu langsam, zu kompliziert. Die Folge: Einstellung. Akte zu. Nächster Fall.
Belegt aus der Praxis – nicht aus Vermutungen
Der Rechtsanwalt Markus Haintz hat dieses Phänomen im Jahr 2025 mehrfach öffentlich dokumentiert – mit konkreten Einstellungsbescheiden aus seiner Kanzleipraxis.
Die Begründungen gleichen sich:
- X verweist auf Rechtshilfe nach Irland oder in die USA
- Die Staatsanwaltschaft unternimmt diesen Schritt nicht
- Das Verfahren wird mangels Ermittelbarkeit eingestellt
Haintz bringt es nüchtern auf den Punkt:
„Die meisten Strafverfahren wegen Beleidigungen oder anderer Äußerungsdelikte auf X können von den Staatsanwaltschaften nicht mehr verfolgt werden.“
Das ist der empirische Kern, den die Klarnamen-Debatte verschweigt.
Die Klarnamenpflicht als Abkürzung
Und genau hier setzt der politische Reflex ein.
Statt:
- funktionierende internationale Rechtshilfe zu nutzen
- Ermittlungsstrukturen anzupassen
- staatsanwaltliche Zuständigkeiten zu professionalisieren
wählt man den bequemeren Weg:
Zwingt die Bürger einfach, mit echtem Namen zu sprechen.
Dann braucht man:
- keine IP-Anfragen
- keine Rechtshilfe
- keine Mühe
Der Ermittlungsaufwand wird vom Staat auf den Bürger verlagert.
Das ist kein Fortschritt. Das ist ein Rückschritt.
Warum das jeden betrifft – nicht nur „anonyme Trolle“
Die Klarnamenpflicht trifft nicht die Lauten, sondern die Vorsichtigen.
Sie trifft:
- Whistleblower
- politisch Andersdenkende
- Staatsbedienstete
- Mieter, Arbeitnehmer, Beamte
- Menschen mit berechtigter Angst vor beruflichen oder sozialen Konsequenzen
Anonymität ist kein Schutz für Kriminalität, sondern oft der einzige Schutz vor Machtmissbrauch.
Geschichte, Journalismus und Rechtsstaat leben davon.
Der eigentliche Skandal
Der Skandal ist nicht, dass Meinungsäußerungen im Netz schwerer zu verfolgen sind. Der Skandal ist, dass der Staat lieber Grundrechte einschränkt, als seine eigenen Verfahren anzupassen.
Die Klarnamenpflicht ist daher kein Instrument für Ordnung. Sie ist ein Bequemlichkeitsgesetz.
Und genau deshalb muss man sie ablehnen.
Nicht aus Trotz.
Nicht aus Provokation.
Sondern aus rechtsstaatlicher Vernunft.
Fazit
Wer die Klarnamenpflicht fordert, sagt unausgesprochen:
„Wir schaffen es nicht mehr, Recht durchzusetzen – also schaffen wir Freiheit ab.“
Das ist kein Fortschritt. Das ist Kapitulation vor der eigenen Verwaltung.
Und wer das erkennt, weiß auch sofort, warum er sich dagegen positionieren muss.

Bin jetzt extra auf steemit weil auf steempro dieser Post wieder nur eine leere Seite zeigt.
"Klarnamen"? Klar..😃. Sicher nicht!
Zu den eingestellten Verfahren: Ist es nicht immer so, dass man keine Chance hat wenn Täter oder Seiten im Ausland sitzen? Wie viele Betrugsvideos ich z. B. Tiktok schon gemeldet habe..nichts passiert. Und täglich sehr ich zig mal die selbe Temu-Werbung (oft nochmals genau die selbe Werbung aber zur Abwechslung mit anderen Komparsen), in der ironischerweise gespielt wird, dass Temu-Mitarbeiter aufgebracht sind, weil die Leute nicht glauben, dass man beim runterladen der APP tatsächlich ein (gutes) Tablet geschenkt bekommt. Natürlich dürfe man Temu nicht über den Store downloaden, sondern nur über eines dieser Werbevideos. Fazit: Diese Videos sind oft Phishing und das Willkommensgeschenk ist in Wahrheit an einige Bedingungen geknüpft wie Mindestbestellwert, Freunde werben, Standortfreigabe, Nutzungsdaten etc. Und trotz der Erfüllung dieser Vorgaben gibt es meistens kein Tablet oder grossen Frust. Die Geräte sind billig und schlecht verarbeitet.
Warum dürfen ausländische Firmen in Deutschland so irreführend werben?
Warum darf X auf Irland verweisen?
Das nervt mich sehr. Aber andersrum besser mit Klarnamen Posten.. Auch selbst wenn es nur Deutschland betrifft wo Vorstadtbeamte einfach so auf den Privatklagewege verweisen dürfen, obwohl sie z . B. in Stalking-Fällen die sich bis ins Internet ziehen, leicht die IP-Adresse prüfen könnten. Es gibt einfach zu wenig Schutz und Hilfe ☹️
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