Sanktionen gegen Meinungen – Wenn der Rechtsstaat zur Haltungssache wird

in #deutsch11 hours ago

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„Good. Traitor.“
Zwei Wörter. Kein Argument. Kein Zweifel. Kein Rechtsstaat.

Wenn Journalisten applaudieren, weil jemand wegen seiner Berichterstattung auf eine EU-Sanktionsliste gesetzt werden soll, dann ist nicht mehr die Frage, wer hier sanktioniert wird. Dann ist die Frage, wie weit sich der Begriff von Recht bereits von der Macht entfernt hat.

Sanktionen waren einmal ein Mittel gegen Gewalt, Terrorfinanzierung und konkrete Beteiligung an Kriegsverbrechen. Heute sollen sie offenbar auch gegen Meinungen helfen.

Das ist kein Ausrutscher. Das ist ein Dammbruch.

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„Aber das ist doch Propaganda!“ – das falsche Argument

Kritiker wenden ein, die betreffende Berichterstattung sei keine neutrale Information, sondern russische Propaganda. Selbst wenn man diese Einschätzung teilt, führt sie rechtlich in die Irre.

Denn der entscheidende Punkt ist nicht, ob Berichterstattung kritikwürdig ist, sondern wie der Staat darauf reagiert.

In einem Rechtsstaat werden falsche, einseitige oder manipulative Inhalte mit Gegenrede, Medienkritik oder – im äußersten Fall – mit rechtsstaatlichen Verfahren beantwortet. Nicht mit Sanktionen ohne Anklage, ohne Urteil und ohne effektiven Rechtsschutz.

Wer Sanktionen akzeptiert, sobald er den Inhalt missbilligt, akzeptiert sie prinzipiell.

Was Sanktionen rechtlich eigentlich sind – und was nicht

EU-Sanktionen sind kein Strafrecht. Sie sind Verwaltungsakte mit enormer Wirkung:

  • Kontensperren
  • Reiseverbote
  • wirtschaftliche und soziale Isolation

All das geschieht ohne Strafverfahren, ohne Beweisaufnahme, ohne öffentliche Hauptverhandlung.

Gerade deshalb gelten Sanktionen als ultima ratio – als äußerstes Mittel gegen konkrete, nachweisbare Gefahren.

Wer dieses Instrument auf journalistische Arbeit oder politische Haltungen anwendet, verwandelt es in ein Gesinnungswerkzeug.

Der gefährliche Präzedenzfall

Der Mechanismus ist nicht neu. Das Verbot von RT in der EU folgte demselben Muster: keine individuelle Prüfung, keine gerichtliche Feststellung, sondern ein pauschaler politischer Akt.

Heute geht es um Russland-Berichterstattung. Morgen um „klimaschädliche Narrative“. Übermorgen um „demokratieschädliche Inhalte“.

Nicht die Tat ist das Problem, sondern die Wirkung der Meinung.

Das ist kein Rechtsstaatsdenken. Das ist Machtlogik.

Der eigentliche Tabubruch: journalistischer Applaus

Dass Politiker solche Sanktionen fordern, ist erwartbar. Dass Journalisten sie feiern, ist der eigentliche Bruch.

Besonders dann, wenn der Applaus nicht aus irgendeiner anonymen Kommentarspalte kommt, sondern von einem der profiliertesten außenpolitischen Journalisten des Landes.

Joerg Lau ist Ressortleiter Außenpolitik bei DIE ZEIT. Er prägt seit Jahren den Ton, mit dem deutsche Außen- und Sicherheitspolitik journalistisch begleitet, eingeordnet und legitimiert wird.

Wenn aus dieser Position heraus ein Sanktionierungswunsch gegen einen Journalisten mit den Worten „Good. Traitor.“ kommentiert wird, dann ist das kein emotionaler Ausrutscher.

Dann ist es ein Signal.

Journalismus soll Macht kontrollieren – nicht ihre schärfsten Instrumente legitimieren.

„Good. Traitor.“ ist kein Kommentar. Es ist ein Loyalitätsbekenntnis.

Warum das jeden betrifft

Es geht nicht um Sympathie für einzelne Personen. Es geht um die Frage, ob Meinung noch frei ist, wenn sie politisch unerwünscht wird.

Ein Staat, der Sanktionen gegen Meinungen akzeptiert, braucht kein Strafrecht mehr. Und eine Presse, die das feiert, braucht keine Pressefreiheit mehr zu fordern.

Verfassungsrechtlicher Kern

Art. 5 Abs. 1 GG schützt Meinungen und Medien nicht nur vor direkter Zensur, sondern auch vor Maßnahmen mit abschreckender Wirkung.

Das Bundesverfassungsgericht warnt seit Jahrzehnten vor dem sogenannten „chilling effect“: Staatliche Maßnahmen, die formal zulässig erscheinen, aber faktisch dazu führen, dass Menschen ihre Meinung nicht mehr äußern.

Art. 11 der EU-Grundrechtecharta garantiert die Freiheit der Medien und schützt vor staatlicher Einflussnahme. Sanktionen gegen Journalisten oder Herausgeber wegen ihrer Inhalte stehen dazu in direktem Widerspruch.

Fazit

Sanktionen gegen Meinungen sind kein Graubereich. Sie sind ein Systembruch.

Der Rechtsstaat stirbt nicht mit Panzern. Er stirbt mit Applaus.

Nicht, wenn Sanktionen verhängt werden – sondern wenn niemand mehr fragt, ob sie legitim sind.