ausgestorbene Berufe - Fettfischer, Urinwäscher, Ameisler und Bleisetzer

in #deutsch6 years ago

Fettfischer, Strotter


Durch das rasante Wachstum der Stadt Wien im 19.Jhd entwickelte sich auch eine soziale Unterschicht, für die ein Ausweg war, sich in die Kanalisation zu begeben. Das war möglich, da nach einer verheerenden Choleraepidemie 1831 der Kaiser beschlossen hatte, Wiens Kanalisation von Grund auf zu modernisieren und großzügig auszubauen (sie wird nahezu unverändert auch heute noch verwendet). Da das Kanalsystem zu 80% begehbar war (im Vergl. Berlin 20%), ergaben sich Orte und Verstecke für Obdachlose, die der Straße vorgezogen wurden (es gab noch keine Obdachlosenheime und andere sozialen Einrichtungen).
fettfischer.JPG
Quelle

Fettfischer waren eine Untergruppe der sogennten Kanalstrotter (ein vor hundert Jahren noch völlig geläufiger Begriff (zumindest in Wien), heute nahezu ausgestorben), die unter menschenunwürdigen Bedingungen die Kanäle nach Verwertbaren absuchten und so ihren ärmlichen Lebensunterhalt bestritten. Münzen, Knöpfe, Nägel, Knochen und Fleischreste - alles wurde gesammelt und oben verkauft. Die Fettfischer, die sicher zu den bedauernswertesten Strottern zählten und sogar von Bettler gemieden wurden, sammelten Fettstücke, Speisereste, Knochen und Fleisch, trockneten sie und verkauften sie für geringes Entgelt an die Seifenindustrie (mit der Seife wuschen sich die Leute oben dann, eine Ironie, die an "Fight Club" erinnert). Es gab sie vor allem in den Dreissigerjahren des 20.Jhds, am Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise.
Der letzte bekannte Strotter ist 1958 im Kanal verschwunden und seither nicht mehr aufgetaucht.

Fullone, Urinwäscher


In antiken römischen Städten wurden an Verkehrsknotenpunkten Pinkelgefäße aufgestellt - quasi als öffentliches Pissoir, diese Amphoren nannte man vasae curtae. Geleert wurden sie von den Fullonen, den Urinwäschern, die den Urin als Waschmittel zum Reinigen der römischen Togen und anderer Wäsche verwendeten. Auch Wollstoffe wurden damit bearbeitet. Dazu stiegen sie auch selbst in die urinhältigen Bottiche, weshalb man sie an ihren wunden Beinen erkennen konnte.
fullone.jpg
Quelle

Daneben wurde Urin auch zum Färben und als Rohstoff eingesetzt, auch in anderen Ländern. In Indien etwa wurde der Harn von Mangoblätter fressenden Kühen verwendet, um das herrliche Indischgelb zu erzeugen. In Florenz durften die Bewohner in Mietskasernen eine Zeit lang nur das eigene Pissoir benutzen, weil die Hausbesitzer den Inhalt teuer verkauften (Ammoniak war damals sehr begehrt als Rohstoff für die Chemie).
Im europäischen Spätmittelalter benötigte man auch für die Herstellung der blauen oder violetten Altardecken und Priestergewänder Urin. Daher waren die Arbeiter angehalten, am Wochenende viel Bier zu trinken, um am Montag genügend davon abliefern zu können. Das "Blau machen" kommt vermutlich daher, denn dieser Dienst wurde manchmal mit einem freien Halbtag belohnt.

Weils zum Thema passt: Abtrittanbieter - ein ebenfalls ausgestorbener Beruf, der Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts in einigen westeuropäischen Großstädten verbreitet war (dort wo es noch keine öffentlichen Toiletten gab). Sie gingen in den Straßen umher oder warteten an gut frequentierten Orten und boten Passanten eine Notdurft an. Dazu hatten sie Bottiche mit Deckeln und einen weiten Umhang dabei (um bei der Notdurftverrichtung den Bürger vor neugierigen Blicken zu schützen). Neben dem Entgelt vom Kunden verkauften sie den Urin teilweise an chemische Betriebe (Salpeterherstellung) und Gerbereien.

Ameisler


Geameiselt wurde vom ca. 17. bis ins 20. Jhd in Teilen Österreichs, Bayerns und Böhmens. Ameisler sammelten und trockneten die Puppen der Waldameisen (fälschlicherweise als Ameiseneier bezeichnet) und verkauften sie als Vogelfutter sowie als Zutat für die Herstellung von Arzneimitteln.
ameisler.jpg
Quelle

Gesammelt wurde nur bei Schönwetter (da nur dann die Ameisen ihre Puppen in die oberen, wärmeren Bereiche transferieren) und bevor die Ameisler die Ameisenhaufen aufhackten, rieben sie ihre Hände mit Terpentin oder Holunderblüten ein, als Schutz gegen Ameisensäure. Bereiche, die Puppen enthielten, wurden auf einem Tuch ausgebreitet und mit verschiedenen Methoden alles andere enfernt. Pro Tag konnten bis zu fünf kg Eier gesammelt werden, nach dem Sammeln mussten sie noch getrocknet werden. Noch um 1900 wurden auch am Wiener Naschmarkt niederösterreichische Ameisenpuppen angeboten.

Ameisler_Erlaubnisschein_Nr._38.jpg
Quelle

Zu Ende ging es mit diesem kuriosen Beruf in den 70ern des 20. Jhd. als er von den Forstbehörden zunehmend verboten wurde, da das Sammeln die Ameisenbestände dezimierte und dadurch das ökologische Gleichgewicht belastete. Da ich Ameisen sehr schätze, bin ich froh, dass dieser Beruf ausgestorben ist.

Schriftsetzer (Bleisetzer)


Seit der Erfindung des Buchdruckes um 1445 (und in Asien auch schon davor), gab es diesen Beruf (das Foto ist von 1954). Um ihn zu beherrschen brauchte man gute Rechtschreibkenntnisse und man musste den Text lesen können, obwohl er spiegelverkehrt und „auf dem Kopf stehend“ vom Körper weg gesetzt wurde, sicher der intellektuellste unter den Handwerkerberufen. Pro Stunde konnte man im Handsatz ca. 1.500 Zeichen setzen.
schriftsetzer.jpg
Quelle

Um 1890 wurden dann Setzmaschinen erfunden, die das Setzen deutlich erleichterten. Ab 1960 ging der Beruf dann schrittweise verloren durch Fotosatz und später digitalen Schriftsatz. Was übrigblieb ist die Einheit für die Schriftgröße, der Punkt, der ursprünglich ein Bruchteil (1/864) des “Pariser Fußes” war (1780, Didot), im Jahr 1878 wurde der Punkt dann als 1 2660zigstel des Urmeters aus Platin definiert (1 Didot-Punkt = 0,376 mm). In den USA dagegen war der Pica-Punkt (pp, 1/72,72 inch) = 0,351mm) verbreitet. In den Computerprogrammen und im desktop publishing wird heute der DTP-Punkt (pt) verwendet: 1⁄72 Zoll, d.h. 0,3527 mm.

Ich finde es einerseits furchtbar und beschämend, mit welchen Berufen manche unserer Vorfahren ihren Lebensunterhalt verdienen mussten und daran ist zu erkennen, wie entbehrungsreich die frühere Zeit war, andererseits waren die Leute auch erfindungsreich und sich nicht zu schade, harte und schmutzige Arbeit zu verrichten. Es gab damals noch nicht die Wegwerfgesellschaft und die soziale Hängematte - viele Dinge wurden genutzt, die heute Abfall sind oder zu beschwerlich, sie zu gewinnen. Wir können froh sein, in unserem hohen Lebensstandard zu schwelgen, sollten aber nie die Vergangenheit vergessen, die die Grundlage unserer heutigen Wohlstands ist.

Quellen:
Peter Ryborz, “Unter Wien 2”, BoD 2015
https://www.wiwo.de/erfolg/beruf/die-letzten-ihrer-art-sterbende-und-ausgestorbene-berufe/7841324.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Abtrittanbieter
https://www.meraner.eu/artikel/2013/der-ameiseneiersammler.459
https://de.wikipedia.org/wiki/Schriftgrad

Sort:  

Die ersten 3 kannte ich noch nicht, sehr interessant.
Zu diesem Thema kann ich noch die alte TV Dokureihe "Der Letzte seines Standes" empfehlen (Kann man sich auf YouTube anschauen). Eine tolle Reihe, in der ausgestorbene Berufe von den letzten lebenden Meistern gezeigt werden. Eine der wenigen TV Produktionen, die man sich anschauen kann.

Danke für den Tipp! Ist wirklich eine exzellente Serie. Schön, dass diese alten Gewerbe noch so gut dokumentiert worden sind.

Gute Idee, gute Recherche und Zusammenstellung.
Danke dafür.

Blick zurück ist wichtig. Upvote.

Urin zum Waschen zu verwenden, ist eigentlich gar keine schlechte Idee, war das doch die wahscheinlich sterilste Flüssigkeit, die die alten Römer hinbekamen. Und Amoniak als chemischen Grundstoff zu nutzen leuchtet auch ein.
Danke für diesen sehr interessante Blick in unsere Vergangenheit.

Hallo @stayoutofherz, du hast von mir ein Upvote erhalten! Ich bin ein Upvote-Bot und meine Mission ist, hochwertigen Content unter #Steemit-Austria zu fördern. Hier kannst du mehr über mich und meine Funktionsweise erfahren. Wie du an meinen curation-rewards mitverdienen kannst, wird dort ebenfalls beschrieben.

Übrigens: Wenn du den Tag #steemit-austria verwendest, finde ich deine Posts noch leichter!

Erfahre mehr über mich und promote deine Beiträge im Steemit-austria slack, sowie im steemit-austria discord-channel!

Guten Tag, mein Freund, wenn du immer noch keine gute Sanitär finden kannst, die deine Kanalisation problemlos reinigen kann, dann kann ich dir nur im Rahmen dieser Situation empfehlen, die Website https://rohr-service24.ch/kanalreinigung-schwyz zu besuchen, da du dort einen guten Sanitär finden kannst.

Coin Marketplace

STEEM 0.28
TRX 0.11
JST 0.030
BTC 67655.95
ETH 3799.02
USDT 1.00
SBD 3.53