Über das Chinesische Schach Xiangqi, 象棋

in #deutsch5 years ago

Liebe Steemianer und Schachfreunde,

die chinesische Variante des Schach, Xiangqi (象棋), gesprochen ungefähr "Hsia-Chi" ist im Westen nahezu unbekannt, sogar unter Schachspielern, aber in China ein Volkssport. Auch in Taiwan und Vietnam wird es gespielt. Nach der Anzahl der Spieler übertrifft es sogar "unser" Schach (der Einfachheit halber fortan Schach genannt)!

Wann genau es entstand ist nicht bekannt. Vermutlich entwickelte es sich, wie die Vorläufer aller Schachvarianten, in Nordindien, wo dieses "Urschach" Chaturanga genannt wurde und bereits seit dem 6.Jh n. Chr. bekannt war.
Die chinesiche Variante Xiangqi tauchte kurz danach auf und seit dem 12.Jh haben sich die Spielregeln nicht mehr geändert! Es gibt daher einen umfangreichen literarischen Fundus an vor allem Eröffnungs- und Endspielleteratur zu diesem Spiel, der sogar den des Schachs übertrifft! Diese Lehrbücher tragen oft typisch poetische Namen wie "Blütensammlungen vom Pfirsichbaum". Mehr über die Geschichte dieses Spiels hier. Eine moderne, systematische Eröffnungsbibliothek wie bei unserem Schch entstand aber erst 2004.

Anders als beim Schach ist es in China für eine gebildete Person mit Status erstrebenswert, gut in Xiangqi zu sein!

Das Spielbrett besteht aus zehn waagerechten und neun senkrechten Linien. Statt die Steine in die Felder zu setzen, werden sie, wie beim Go, auf die Kreuzungspunkte der Linien gesetzt, sodass sich 90 mögliche Positionen ergeben, beim Schach sind es ja bekanntlich 64 (je 8 Reihen und Linien). Daher gibt es auch keine weißen und schwarzen Felder.
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Im Spiel kämpfen symbolisch zwei Armeen gegeneinander. Der "Palast" oder die "Festung", 9 Positionen in der Basis jedes Spielers, die durch diagonale Linien markiert sind, beherbergen den Feldherr/General und seine beiden Beschützer. Der sogenannte "Fluss" teilt das Spielfeld in der Mitte. Er stammt angeblich von einem Fluss, der als Grenze zwischen zwei verfeindeten Reichen fungiert hatte, nachdem sie miteinander Krieg geführt hatten (möglicherweise handelte es sich um die Schlacht am Wei-Fluss, in der 203 v. Chr. das Qi-Reich vom Han-Reich besiegt wurde).

Die beiden Gegner haben jeweils schwarze (selten grüne) und rote Steine (Rot hat den ersten Zug), wobei es nicht dreidimensionale Figuren wie beim Schach gibt, sondern runde Scheiben, deren Bedeutung in Form von Schriftzeichen aufgedruckt ist - mit ein Grund, warum sich das Spiel bisher im Westen nicht durchsetzen konnte. Es gibt zwar auch europäisierte Darstellungen, die zumindest Hinweise auf die Zugmöglichkeiten der Steine geben (Turm, Springer), aber für den wahren Kenner sind diese verpönt.
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Die Figuren

Feldherr / General

Anders als beim Schach haben die Gegner unterschiedlich benannte Steine, aber beide - Feldherr (Rot) und General (Schwarz) - folgen jeweils den gleichen Zugregeln: einen Schritt waagerecht oder senkrecht (nicht diagonal). Sie entsprechen - nicht schwer zu erraten - dem König beim Schach. Anders als beim Schach darf der Feldherr/General den Palast nie verlassen, hat insgesamt also nur neun mögliche Positionen. Auch eine Rochade gibt es nicht. Dafür gibt es eine interessante Fernwirkung - den "Todesblick". Die beiden Könige dürfen sich niemals, ohne zwischenliegenden Stein, auf einer Linie frei gegenüberstehen. Offensichtlich kann das im Endspiel sehr wichtig werden, denn so kann ein König dem anderen eine ganze Linien sperren (ziehen des Königs auf ein bedrohtes Feld ist ja wie beim Schach verboten)!

Leibwächter / Mandarine

Die beiden Leibwächter (Rot) und Mandarine (Schwarz) stehen in der Grundstellung links und rechts vom "König" und dürfen so wie er nie den Palast verlassen. Da sie nur je ein Feld diagonal ziehen können, haben sie nur 5 mögliche Positionen (die Mitte und die 4 Ecken des Palasts). Die einzigen diagonalen Linien am Brett zeigen also nicht nur den Palast an, sondern auch die Zugmöglichkeiten der Leibwächter / Mandarine!

Minister / Elefanten

Die beiden Minister (Rot) und die Elefanten (Schwarz), meist einfach Elefanten genannt, sind die Namensgeber des Spiels ("xiàng" = Elefant), das man mit "Elefantenschach" übersetzen könnte. Sie sind eine Art schwache Läufer, da sie nur genau 2 Felder diagonal ziehen können und auch nur, wenn das übersprungene erste Feld frei ist. Da sie den Fluss nicht überqueren dürfen, gelten sie als reine Verteidigungseinheiten. Ein starke Dame wie im Schach gibt es im Xiangqi nicht, angeblich reflektiert das den seit jeher niedrigen Stellenwert der Frau in China.

Pferde

Neben den Elefanten sind in der Grundstellung die Pferde. Diese entsprechen den Springern im Schach, aber ziehen zuerst ein Feld waagrecht und dann eines diagonal, wobei wie beim Elefanten das übersprungene erste Feld frei sein muss. Daher können sie gar nicht springen.

Wagen

Die in der Grundstellung an den Ecken des Spielbrettes befindlichen Wagen sind die einzigen Figuren, die genau gleich wie die Türme beim Schach ziehen. Sie entfalten ihre volle Stärke erst im Lauf des Spiels (genau wie die Pferde), wenn weniger Steine am Brett sind, die sie behindern.

Kanonen

Die Kanonen, die es nur in der chinesischen Variante gibt, sind am interessantesten. Sie bewegen sich wie Türme, können aber gleichsam einem Katapult durch Überspringen eines anderes Steines (egal ob Rot oder Schwarz), des sog. Schanzensteins, eine gegnerische Figur schlagen, über beliebige Entfernung hinweg, und auch egal, wo auf der Linie sich der Schanzenstein befindet. Die Stärke der Kanonen nimmt im Spielverlauf eher ab, da immer weniger Schanzensteine zur Verfügung stehen.

Soldaten

Die jeweils fünf Soldaten entsprechen am ehesten den Bauern beim Schach, sind aber wesentlich mächtiger. Die Zahl fünf könnte für die fünf Elemente der chinesischen Philosophie stehen (Holz, Feuer, Metall, Wasser und Erde). Sie ziehen ein Feld nach vorne, aber sowie sie auf der gegnerischen Fluss-Seite angelangt sind, werden sie quasi befördert und können zusätzlich auch ein Feld nach links oder rechts gehen (aber nie diagonal oder rückwärts).
Anders als im Schach schlagen sie nicht diagonal, sondern so, wie sie auch sonst ziehen, also nach vorne und in der generischen Hälfte auch seitwärts, was sie zu wichtigen Offensiv-Figuren macht (man kann sie nicht einfach blockieren durch Davorstellen einer Figur). Auch als Schanzensteine für die Kanonen sind sie recht nützlich.
Soldaten können sich nach Erreichen der gegnerischen Grundlinie nicht verwandeln in wertvollere Figuren, angeblich entspricht dies der starren sozialen Hierarchie in China.

Matt / Patt

Das Ziel des Spiels ist es, den gegnerischen General / Feldherrn matt oder patt zu setzen. Denn anders als im Schach ist Patt (also keine legale Zugmöglichkeit haben, aber nicht im Schach stehen) kein Remis, sondern gilt als Sieg für die Seite, die noch ziehen kann.
Ist ein Spieler im Schach, gibt es beim Xiangqi vier Reaktionsmöglichkeiten. Neben den dreien, die auch im Schach vorkommen (Ausweichen, die bedrohende Figur schlagen oder eine eigene Figur dazwischenstellen) ist die vierte Option, einen eigenen Schanzenstein zu entfernen, sodass eine gegnerische Kanone nicht mehr droht (siehe Beispiel). Scheitern alle vier Möglichkeiten, ist ein Spieler mattgesetzt und hat verloren.

Beispiel für ein Matt: Die rote Kanone links oben droht, im nächsten Zug den General (Schwarz) zu schlagen. Ein Ausweichen des Generals nach links ändert nichts (dieses Feld kann die Kanone genauso treffen), nach unten geht nicht, da dieses Feld vom roten Soldaten bedroht wird, ein diagonales Ausweichen geht nicht, da der eigene Mandarin im Weg steht und ein Verlassen des Palasts ist nicht erlaubt. Als letzten Ausweg könnte der eigene Mandarin, der vom Gegner unfreiwillig als Schanzenstein benutzt wurde, wegziehen, doch darf er sich nur diagonal innerhalb des Palasts bewegen und sein einzig möglicher Zug wird vom anderen Mandarin verstellt. Daher Matt.

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Übrigens: Das Geben von Dauerschach, um z.B. ein Remis zu erwirken, oder sonstige Zugwiederholungen - gar nicht selten im Schach - sind im Xiangqi verboten! Der Zugwiederholende muss seinen Plan ändern, da die dritte Wiederholung zum Verlust führt. Die Zugwiederholungsregeln sind aber relativ kompliziert, denn wenn beide Spieler die Stellung wiederholen, ist ein Remis möglich.
Ein Remis durch Übereinkunft ist auch erlaubt.

Spielcharakteristik

Im Vergleich zum Schach ist Xiangqi schneller und aggressiver. Dadurch dass die Soldaten sich nicht gegenseitig blockieren wie im Schach, kommt es nicht zu geschlossenen Stellungen und in der Folge zu teilweise langwierigen positionellen Spielanlagen, sondern öfter zu einem raschen Königsangriff. Ausserdem gibt es bei gleicher Figurenanzahl (je 16) 90 statt 64 Felder, was das Spiel "offener" macht, mit einer kürzeren Eröffnungsphase.
Da die Könige anders als im Schach spiegelsymmetrisch genau in der Mitte stehen, gibt es weder einen Königs- noch einen Damenflügel. Da es auch keine Damen und Läufer gibt, sind im Xiangqi generell die Diagonalen weit weniger wichtig als im Schach. Stattdessen erlauben die Kanonen für Schachspieler ungewohnte taktische Möglichkeiten, z.B. die "Doppelkanone" (eine Kanone, die die andere Kanone als Schanzenstein verwendet). Typische taktische Motive des Schachs wie Opfer, Gabel oder Abzugsschach kommen auch im Xiangqi vor.

Ausgeprägter als beim Schach können sich je nach Phase des Spiels die Stärken der einzelnen Figuren verändern. Wagen und Pferde werden stärker, je weniger Figuren am Brett sind, Kanonen dagegen schwächer. Alle drei sind die aktiven Figuren, nützlich in Angriff und Verteidigung; demgegenüber sind die Leibwächter / Mandarine und die Elefanten, die in der eigenen Hälfte bleiben müssen, reine Verteidigungsfiguren. Soldaten sind die dritte Gruppe. Je näher sie dem gegnerischen Palast sind, desto wichtiger werden sie. Man sagt, dass ein Soldat im gegnerischen Palast soviel wert wie ein Wagen ist. Soldaten werden auch gerne für einen Angriff geopfert. Mehr über Spieltaktik hier.

Von zentraler Bedeutung ist es, die Initiative zu erlangen und zu behalten. Wer die Initiative hat, befindet sich in der "Vorhand", der bedrängte, sich verteidigende Gegner hat die "Nachhand". Man kann aus der Verteidigung heraus, durch ein Opfer (oder einen schwachen Zug des Gegners), die Vorhand erlangen, aber es muss im Fall eines Opfers gut überlegt sein, ob die erlangte Initiative das verlorene Material kompensiert.

Soweit die Theorie - bereit für die Praxis?

Hier kann man online gegen einen Xiangqi-Computer spielen:
http://xahlee.info/chinese_chess/chinese_chess.html
Zur Vereinfachung hier die Weicheier-Variante mit europäisierten Figuren:
http://www.springfrog.com/games/chess/chinese/

Ich habe es ausprobiert und mir zunächst mal die Bedeutung der Steine eingeprägt. Das ging mit etwas Übung einigermassen. Trotzdem wurde ich in den ersten Partien regelrecht zerlegt, da ich nicht genug auf die Zugmöglichkeiten achtete. Dass das Pferd nicht springen kann und sich "Bauern" jenseits des Flusses seitwärts bewegen können, muss man sich erstmal merken. Von der hinterlistigen Kanone ganz zu schweigen. Und die eingeschränkten, bzw. anderen Zugmöglichkeiten machen es für einen Schachspieler viel schwerer, die eigenen Steine zu decken. Geduld ist also am Anfang angesagt!

Als einer der der stärksten deutschsprachigen Xiangqi-Spieler gilt der Schachgroßmeister Robert Hübner. Hübner nahm 1993 an der Xiangqi-Weltmeisterschaft in Peking teil und erreichte einen vielbeachteten 36. Platz unter 76 Teilnehmern!

Xiangqi - beliebt früher...
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und auch heute
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Wer von Euch hat Xiangqi schon einmal gespielt?

Angeblich sollte man es einmal ausprobieren, hier in einem chinesischen Restaurant nach dem Essen ein Xiangqi-Brett auszupacken und mit einem Freund draufloszuspielen! Binnen kurzem wird jeder Angestellte vorbeikommen und das sehen wollen. Das wäre sicher eine interessante Erfahrung :)

Buchtipp:
Vladimir Budde, Thomas Bandholtz: "Chinesisches Schach - Spiel, Mythos, Kultur", Joachim Beyer Verlag 1985

Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Xiangqi
http://www.chinaschach.de/dxbintro.html
http://www.proxima-centauri.de/xiangqi/xiangqi.pdf
http://chinaschach.de/blog/2017/10/01/arbeitskreis-geschichte-des-xiangqi/
https://sites.google.com/site/caroluschess/chess-and-game-variants/xiangqi

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Mein erster Gedanke als ich das Bild sah: Das Zahlenkampfspiel. Beste Grüße und danke für den lehrreichen Bericht.

Das kannte ich gar nicht, vielen Dank!

Wer von Euch hat Xiangqi schon einmal gespielt?

Der war gut, lol, ich kannte bis eben dieses Spiel gar nicht,
da soll mal einer sagen steemblockchain, bildet nicht, danke
lg 🤠

Ja, das hab ich auch immer wieder gerne gespielt. So, richtig hineingetigert habe ich mich dann aber doch nicht. Das Arimaa war ganz cool , ist aber leider zu spät erfunden worden und die Entstehungsgründe sind auch nicht grad ein idealer Nährboden gewesen.

Arimaa kannte ich gar nicht. Wieder was gelernt, vielen Dank!

Danke für diesen tollen Artikel. Von dem Spiel hatte ich noch nie was gehört.

Sehr interessant und informativ

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