Fossil mit Stil

in #deutsch3 years ago (edited)

Geschichten haben immer mehrere Seiten. So ist es auch bei meiner Kurzgeschichte "Der beste Jahrgang". Ich habe von einigen Seiten sehr interessante Anregungen bekommen, die mich dazu gebracht haben, die ganze Geschichte noch einmal um zu schreiben.
Hier also die zweite Version unter dem Titel: Fossil mit Stil.


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Bob hing gelangweilt in seinem bequem gesessenen Bürostuhl, der Schweiß sammelte sich zwischen seinem breiten Rücken und der verschlissenen Lehne. Hinter ihm summte die gesamte Servertechnik des Unternehmens monoton vor sich hin. Hätte er gewusst, dass sich Wachmann und Saunameister so ähnelten, hätte er sich für letzteres entschieden. Dann hätte er wenigsten nackte Menschen beobachten können und nicht die immer gleiche Bildschirmwand. Für einen Moment verfolgte sein Blick die defekte Miniklimaanlage an einem Hovermodul, die wie ein Geier um ihn kreiste. Dann wandte er sich wieder den Bildschirmen und der Tätigkeit zu, für die er bezahlt wurde.

Der Anblick des Verkaufsraumes hatte sich schon fast in Bobs Netzhaut gebrannt. Er kannte jede Fuge der hohen, schmucklosen Betonwände und jede Strebe der offenen Baustahlkonstruktion der Decke. Natürlich stand auch Ed an seinem gewohnten Platz hinter dem perfekt symmetrischen Tresen, beide spiegelten sich unscharf in dem immer glänzenden Marmorboden. Der alte Ed oder „Das Fossil mit Stil“, wie er ihn heimlich nannte, war wirklich eine Erscheinung. Seine altmodischen Anzüge, seine Wortgewandtheit und das freundlich distanzierte Wesen sorgten dafür, dass er sich in seiner Gegenwart jedes Mal wie ein Prolet vorkam.

Ermüdet vom ewigen Brummen streckte sich Bob ausgiebig, als plötzlich das Bedienungshologramm aufleuchtete, eine Meldung erschien und verschwand.
Diese verdammten Bewegungssensoren! Was hab ich jetzt wieder gemacht?
Er fuchtelte panisch in alle Richtungen und das Hologramm verschwand.
Scheiße!
Noch während er versuchte herauszufinden, was genau geschehen war, wurde ihm eine Bewegung vor der Eingangstüre gemeldet. Eine Sekunde lang kämpften das schlechte Gewissen und das Pflichtbewusstsein in ihm, dann erinnerte er sich an die Dienstvorschrift: Bei Kundenkontakt hat der Verkaufsraum sowie das Personal oberste Priorität. Widerwillig ließ er von seinen Korrekturversuchen ab und konzentrierte sich auf die zwei Gestalten, die sich zielstrebig auf den Eingang zubewegten.
Die automatischen Flügel öffneten sich und kakophonischer Straßenlärm ließ ihn aus seinem Stuhl fahren.
Gott sei Dank! Es waren nur die Richtmikrofone.

Die Kameras folgten dem Gang der Beiden zu Eds Tresen, genug Zeit für Bob, sie ausführlich zu mustern. Der eine hatte den dürren, schlaksigen Körperbau eines Teenagers, der andere war die gealterte, überarbeitete Version davon, es musste sich um einen Vater mit seinem Sohn handeln. Der Spross hatte sich in eine Schichttorte namhafter Marken gehüllt. Sein Erzeuger war an dem Versuch, stilistisch mit seinem Kind mitzuhalten, mehr als nur gescheitert.
Ja, die Sorte kenne ich! Typen wie der verdienen mit einer Mischung aus Inkompetenz und Dreistigkeit mehr Kohle im Monat als ich im Jahr.
Er schüttelte den Kopf und lehnte sich zufrieden mit seiner Diagnose zurück.
Eigentlich gar nicht blöd, die Sache mit den Mikros. Jetzt hab ich wenigstens Unterhaltung.

„Guten Tag, die Herrschaften. Sie wünschen?“ Eds samtiger Bariton war einfach schon bei der Begrüßung ein Genuss.
Der Teenager nickte dem Alten gelangweilt zu und lehnte sich mit dem Rücken an den Tresen. Er vollführte einige Bewegungen mit seinen Fingern über einem kleinen Hologramm in seiner Handfläche und wirkte auf einmal wie eine schlecht dekorierte Schaufensterpuppe. Bob fühlte den grimmigen Drang, ein paar Ohrfeigen auszuteilen.
Aber dann könnten ja seine tollen neuen Soundimplantate kaputt gehen oder seine Linsenprojektion verrutschen … Respektloses kleines Frettchen!

Wenigstens hatte der Vater genug Anstand, kurz aus dem Konzept zu kommen.
„Also, äh, ja … Hallo. Wir suchen einen ganz besonderen Tropfen, soll Power haben, aber mit Style.“
Natürlich. Mit Power und Style, was auch sonst? Weiß der eigentlich, was man hier kaufen kann?
„Wir haben am Wochenende eine größere Fahrt geplant.“
„Sehr wohl, der Herr. Darf ich erfahren, um was für eine Mobilie es sich handelt?“
„Ist ganz neu in meiner Sammlung. Schauen Sie.“
Auch er aktivierte sein Handhologramm und zeigte dem alten Verkäufer eine kleine rotierende Projektion.
„Ist ein 1970er.“
„Ein sehr schönes Stück. Unverkennbares Design, ein 1970er sagen Sie?“
„Ganz sicher. Die Teile sind ja kaum noch zu bekommen.“
Bob bemerkte, wie sich Eds Augenbrauen für einen kurzen Moment zusammenzogen.
Oh, eine Gesichtsentgleisung, das passiert dem Alten selten.
„Ja, in der Tat. Sehr exquisit.“
„Jetzt brauchen wir nur noch etwas, um das gute Stück anzuheizen.“
„Ich verstehe, wir haben derzeit eine kleine Auswahl an Treibstoffen aus den ehemaligen Emiraten auf Lager. Gutes, klassisches Handwerk, aber etwas kernig. Dafür sorgen sie für einen runden Lauf mit einem perfekten Brennverhalten.“
Keine Reaktion.
Sag ich doch! Der hat keine Ahnung!
„Falls Sie lieber auf Tradition und Stabilität setzten möchten, würde ich Ihnen gerne die Vorräte aus Nordamerika ans Herz legen. Schlicht und solide, die Verbrennung wirkt schnell und unmittelbar, aber schonend, eigentlich perfekt für jede Verwendung.“

Der Vater überlegte kurz, dann versuchte er mit einem kumpelhaften Schlag seinen Sohn in das Gespräch einzubeziehen. Der drehte sich genervt um.
„Was?“
„Na, was meinst du? Emirate oder Nordamerika?“
„Ich weiß nich', Jonathan meinte, da gäbe es noch was Besseres, soll so total abgefahren sein, real und initially. Seine Familie hatte das mal auf einer Geschäftsreise in der Slawischen Union. Das haben die hier aber sicher nicht.“
Noch bevor Ed oder der Vater etwas erwidern konnten, hatte sich der Sohn wieder in sein digitales Nirwana verkrochen. Fast schon flehend wandte er sich wieder dem alten Mann zu.
„Es sollte wirklich ganz besonders sein. Haben sie da nichts?“
„Dürfte ich wohl noch einmal die Projektion Ihrer Mobilie bewundern?“
„Aber selbstverständlich.“
Die holografische Projektion kreiste in der ausgestreckten Handfläche. Ed betrachtete sie mit dem Interesse eines Sachkundigen und der Vater mit dem Stolz eines Ahnungslosen. Bob musste die Augen zusammenkneifen, um überhaupt etwas erkennen zu können.
„Meiner bescheidenen Meinung nach handelt es sich hier nicht um einen 1970er Jahrgang. Wenn sie die Motorhaube betrachten und auch die Linien der Windschutzscheibe, ich würde sagen, Sie haben hier ein wundervolles Exemplar aus dem Jahr 1985. Natürlich immer noch ein hervorragendes Erzeugnis der Firma Ford, sogar einen Mustang, allerdings würde ich von fossilen Brennstoffen aus der Slawischen Union abrat … .“
„Ein 1985er Ford-Mustang! Bei so einem Stümper! Eine Verschwendung!“
Erschrocken fuhren Vater, Sohn und Ed herum. Der Blick des alten Mannes wanderte langsam zu einer der Kameras und Bobs Schweiß wurde kalt.
Scheiße! Die Gegensprechanlage.

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