Am Arsch vorbei

in Deutsch Unplugged10 months ago (edited)

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Vor Kurzem stand ich nach einem Kommentar vor einem allseits bekannten Werk der klassischen Weltliteratur und erkannte es nicht. „Und wanderte ich auch im tiefen Tal“, schrieb jemand im Artikel, den ich kommentierte. Ich meinte, den Spruch schon Mal gehört zu haben und das sei geklaut. Was die Quelle betrifft war ich allerdings ratlos. Flugs steckte mir jemand, es sei aus DEM Klassiker. Was mich aber nicht wirklich schlauer aussehen ließ. Also fragte ich kleinlaut nach dem Buch und erfuhr, es sei die Bibel.

Hallo?! Ich bin das Produkt einer siebzig Jahre währenden Spaßkultur. Wie soll ich da auf den Klassiker aller Klassiker kommen? Den Faust habe ich zum Beispiel nur ein Mal gesehen. Das war im „Illustrierten Klassiker“ einem Heft, das literarische Großwerke im Comic-Format auflegte. Lesen kann man das kaum nennen. Besonders, wenn ich an die gebeugten Gymnasiasten denke, die das im dünkelnden Bürgertum allseits fleißig zitierte Moralwerk des Fürstenschleimers J. W. v. Goethe pauken mussten. Der Faust im Comicformat genügte mir vollkommen. Ich erkannte, wie öde jedes breit ausgetretene Geschwätz über Mensch, Geschädigte, Götter und Teufel auf das Gemüt wirkt.

Hätte ich gerne mal Probleme, richte ich sie mir selbst an und kein Moralwerk der Welt kann mich davor bewahren. Sogar ein paar besonders heftige Urprobleme an der Grenze zur Existenz kenne ich aus dem eigenen Leben. Brauche ich da noch ein Menetekel an der Wand? Um mich vor Fehlverhalten zu bewahren, wird kein tiefes Schürfen in kunstvoll angerichteten Dramen auf Bühnen, in Büchern und Liedern gebraucht. Wenn ich ein Weib begehre, ist es garantiert nicht das des Nächsten. Von seinem Hab und Gut gar nicht zu reden! Entweder lernst du Ärger aus dem Weg zu gehen, oder du bekommst auf die Fresse. Was muss man sonst noch über ein gemütliches Leben wissen? Abschreckende Einzelheiten sind dazu sicher nicht vonnöten.

Ich entspringe einer Generation, die grundsätzlich alles in Frage stellt was von Vorfahren und sogenannten Autoritäten serviert wird. Genauer gesagt: Wir haben uns nichts vorschreiben lassen. So brachten wir uns notgedrungen alles selbst bei, was man für ein auskömmliches Leben braucht. Sozusagen im Wildwuchs von Versuch und Irrtum lernten wir, wie es funktioniert. Viele sind dabei auf der Strecke geblieben. Das ist ganz normal, wenn orientierunslose Massen einen Weg beschreiten, den noch niemand zuvor gegangen ist. Meine Moral unterscheidet sich daher in vielen Punkten grundlegend von überlieferten Dogmen. Ich bevorzuge z. B. die Heiterkeit, um mich wohl zu fühlen. Frömmigkeit hat da nicht gezündet. Menschen, und seien es auch nur Schauspieler, tief im Unglück watend, schaue ich nicht freiwillig zu. Habe ich deshalb was verpasst?

Selbstverständlich ging mir die Bibel schon immer am Arsch vorbei. Selbst während meiner fünf eher kontemplativen Jahre im Bischöflichen Knabenkonvikt zu Fulda, hat mich der Stoff nicht begeistern können. Bin ich deshalb ein schlechter Mensch? Ich habe immer nur gesehen, welche Verbrechen mit Hilfe der Bibel in der Hand verübt werden und bevorzuge daher jede Art dogmenfrei gewachsener Ethik. Es kann ja durchaus sein, dass in Bibel, Koran und ähnlichen Schwarten der Mono-, Poly- oder Atheisten auch Mal was Gutes drin steht. Die Bibel schenkt den Ausgedörrten ja sogar Passagen voller Sextummelei. Ich bin sicher, dass sie damals, neben dem Sex, auch schon Drugs und Rock‘n Roll gekannt haben. Im Buch wird davor wahrscheinlich gewarnt.

Die sogenannten Bücher der Bücher sehe ich ausschließlich und alleine als probate Mittel zur effektiven Machtteilung zwischen parasitärer Priesterschaft und „weltlicher Macht“. Doch Gutes stiftet allein der freie Mensch. Wenn er denn will und kann. Dafür braucht es keiner Gebrauchsanweisung, wie man richtig lebt. Das lernt, wer will, ganz alleine und wenn nicht, hilft auch kein Buch gegen das Scheitern. Zumal diese Bücher offenbar lügen. Weil sie die brutale Realität, vor die uns das Universum stellt, stets so hinzubiegen wissen, dass immer ein Sack Gold vor deren Füße fällt, die mit den Werken am heftigsten in der heißen Luft herum zu wedeln verstehen.

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Und der Rest des bildungsbürgerlichen Schmalzaufstriches? Geschwurbel über Unheil, Lug, Trug und Schicksal. Hemingway? Ein vom Testosteron geschwängerter Säufer in geradezu lächerlicher Heroenpose. Kant, Nietzsche und andere Wortzwirbeler? Faule Säcke, die andere arbeiten ließen um trefflich vor sich hin zu schwurbeln und sich das Maul über die Mitmenschen zu zerreißen. Der einzige mir jetzt auf Anhieb wertvoll erscheinende Autor und Wissenschaftler ist Karl Marx. Der hat das Leben gründlicher studiert, als jeder andere Zeitverschwender zuvor. Marx hat unser Leben auf den Punkt genau determiniert. Ganz ohne Moralkeule und mit einem versöhnlichen Ende. Der Kapitalismus zerstört sich selbst. Das ist doch Mal wirklich eine frohe Botschaft.

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 10 months ago 

Hat das System Karl Marx sich nicht auch selbst zerstört ?
Oder sind es die Giersäcke im jeweiligen System, die den Hals nicht voll bekommen die die Systeme zerstören ? Ohne innere Zufriedenheit überlebt kein System !
Weniger ist oft soviel mehr aber erklär das mal einem der den Hals nicht voll bekommt .
Afrog ! Schön was von Dir zu lesen .
VgA🙂

 9 months ago 

Es gibt kein System Marx. Da sind nur Elend und Gier. Und alle Schattierungen dazwischen.
Mein Hals ist auch nie voll genug. Ich habe das aber weitgehend im Griff. Durch Abgleich zwischen Aufwand und Belohnung. Wohin das Raffen führt, sehen wir ja alle recht deutlich.
Danke, dass du dich über meinen Artikel gefreut hast.

 9 months ago 

OK ich erkenne natürlich den missbrauch der Idee Marx und den vollen Hals naja da wird schon noch einziges hinein passen bevor dem Sauerstoff der Weg zur Lunge gänzlich versperrt ist
VgA🙂

 10 months ago 

Nach "Juchu, Afrog schreibt mal wieder!", gesellte sich als nächster frühmorgendlicher Gedanke "Welche Laus ist ihm denn über die Leber gelaufen?", gefolgt von "Was will der Autor mir damit sagen?" hinzu.
Beim zweiten Lesen nun konnte ich schmunzeln. Dass ich auf Faust (I, II ist mir zu abgehoben, da schwebte der Dichterfürst m.M.n. schon in anderen Sphären) stehe, weißt du ja - habe das Werk sogar mehrfach freiwillig gelesen. Durch recht strenge katholische Erziehung geprägt, bin ich sogar einigermaßen bibelfest. Hm. Viele Geschichten mag ich, sind gute Parabeln. Das einzige Manko an diesem Klassiker ist, dass der Klerus die Bibel seit Jahrhunderten nach seinem Belieben interpretierte und versuchte, das Ergebnis dem "einfachen Volk" zu indoktrinieren. Machen die krassen Koran-Ausleger nicht anders.
Naja. Nun hast du's mal gesagt und ich hoffe, es hat dir gut getan. Dein Wohlbefinden geht mir nämlich nicht am A... vorbei.

 9 months ago 

Ja. Ich bin auch schon wieder sprachlos. Leider kann ich mich mit Dir nicht über Faust austauschen. Ich kenne die grobe Rahmenhandlung, war aber nie gewillt, Zeit an Tieferes zu verschwenden. So geht es auch Bibel, Koran, tibetanischen Totenbuch. und ähnlichen Werken von Freude über irgendwas und triefenden Dramen wegen was auch immer. Selbst das Kamasutra langweilte mich. Homer, auf der Strecke überwältigte mich die Langeweile. Ja und die Philosophen. In dem Moment, als ich über Kants Eitelkeit stolperte, ließ ich das Buch fallen. Keine Ahnung, worin die Ursache liegt. Vielleicht hat mir das nicht gefallen und so ballerte das Weltwissen voll an mir vorbei.

Für deine Anteilnahme an meinem Befinden sei Dank. Dann kannst du dich auch mit mir freuen. Heute ist tatsächlich Wohlbefinden, was ich auch dir von Herzen wünsche.

 10 months ago 

schön mal wieder etwas von dir zu lesen zu bekommen. und dann auch noch so ehrliche Kost, die ich mir wohl noch einmal durchlesen sollte. ich hoffe, du kannst heut wohl ruhen! beste Grüße aus dem Fernen Osten!

 9 months ago 

Danke Maxin. Schön, dass du noch hier bist. Letzte Nacht konnte ich wohl ruhen. Vor zwei Tagen war das tatsächlich nicht so einfach. Meine Frau hat des Nachts mehrmals mit Kissen nach mir geschlagen, da ich schnarchte. Wir spielen seit bald zwei Wochen Pingpong mit einem Infekt. Heute Nacht hat sie geschnarcht, wie ein sibirischer Waldarbeiter nach Vodka. Ich habe, trotz ihrer vornächtlichen, groben Einschläge, nur sanft irgendwo bei ihr gezupft, um den Russen zu vertreiben. Es geht immer besser.

 10 months ago 

 9 months ago 

Eine Schwarte im Krematorium? Danke für dein Interesse.

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 9 months ago 

Thanks for strolling by my side.

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