Mehr als sieben Leben

in Deutsch Unplugged3 months ago (edited)

„Normale“ Verschmutzung.
Nimm den Besen, geh hinaus und kehre ohne ein Blatt liegen zu lassen, schrieb ich vor vier Jahren im Weg zur Klarheit über das Straßenfegen. Es geschieht schon wieder. Bei meinem beinahe Hundertjährigen, den ich jüngst in Der rote Stern von Moskau vorstellte.

Weibliche Note

Nennen wir ihn Käpt‘n. So bleibt die Anonymität gewahrt. Der Käpt'n wird seiner Leidenschaft für das Meer gerecht und zum Erzählen braucht es einen Namen. Schriebe ich ständig Hundertjähriger, bliebe die Lust am Weiterlesen bald aus.

Vor zwei Wochen erwähnte ich, während der Fahrt zum Markt, dass ich in einem Blog über ihn schreibe. Auf einer Blockchain, wo man literarisch wertvolle Werke urlegen kann. Das war ich ihm schuldig. Ich wollte sein Einverständnis einholen. Altersentsprechend hat er, außer dem literarisch Wertvollen als Scherz, kaum was begriffen und heute vielleicht schon vergessen. Es ist kein spannendes Dauerthema, sorgte aber kurze Zeit für Heiterkeit. Denn die Vorstellung, dass ich über ihn schreibe, regte ihn sofort zu spitzbübischen Überlegungen an, wie er mir eine heiße Geschichte hinlegen könnte. Flugs schmiedete er eine lustige Intrige, die Eifersucht der Queen zu triggern. Was er am kommenden Wochenende auch durchzog und mir während der nächsten Fahrt zum Markt berichtete:

„Ich erzählte ihr, dass es mir nicht so gut ging und du angeboten hast, bei mir zu bleiben bis es mir besser geht. Das fand ich sehr anständig von ihm und sehr beruhigend, hab ich ihr gesagt. Er hat mich so fürsorglich bemuttert, bis er sich neben mich auf dein Bett gelegt hat, mit Stiefeln. Hat die Schuhe nicht ausgezogen, der Kerl,, und wollte meine Hand halten. Da habe ich mich bedankt und ihn nachhause geschickt.“ Was haben wir gelacht! Ob sie ihm die Story abgenommen hat? 100 Prozent!

Eifersucht ist ihr zweiter Vorname und die richtet sich gegen Jeden, der von außen kommt. Es ist Konkurrenz, aber nicht nur das. Wir sind unerwünscht. Jemand könnte ihr auf die Schliche kommen. Sie hat keine Ahnung, dass der Käpt’n längst weiß, warum sie ihn seit 17 Jahren nicht mehr los lässt. Er vermeidet möglichst, dass wir aufeinander treffen. Reine Fürsorge. Was nicht immer gelingt. Doch sie besucht ihn treu und brav über verlängerte Wochenenden, sorgt für die weibliche Note im Haus, dem Flair, das er reiner Männerwirtschaft unbedingt vorzieht. Sie ziehen durch Kurstädte, besuchen Events, z. B. einen Boxkampf oder Bad Sowieso zum Wohlfühl-Weekend. Er kam vor ca. 30 Jahren aus Amerika zurück und treibt seitdem die normalsten, wie auch seltsamsten Dinge, von denen ich gerne erzählen will. Doch vor dem Vergnügen hat das Universum die Arbeit gesetzt.

Käpt‘ns Außenanlage bietet gewaltigen Zen-Faktor. Nicht falsch verstehen. Zen hat nichts mit Feng Shui, Huschi Wusch, oder dem Prinzessinnen-Schischi vom Gartencenter zu tun. Ein Buddha vor dem Haus macht noch keine guten Menschen. Haus und Außenanlagen wirken, auf den ersten Blick, einfach nur normal gepflegt und ständig sprießt Natur in allen Ecken. Das Grün gedeiht des Sommers hurtiger, als es zwei Wochenstunden im Zaum halten könnten. Es sprießt sogar heute schon, im Februar in Spalten, Fugen und Ritzen. Letztes Jahr wurde ich des Grüns lange Zeit nicht Herr. Zen ist sicher vieles und ganz besonders Arbeit. Die wird als solche aber nicht empfunden. Es ist vielmehr vollkommene Hingabe an die Tat. Nicht einmal das Ergebnis zählt, allein die Hingabe.

Kamikaze Queen

Käpt'ns Eckgrundstück hat Garten vorne und hinten. Umrahmt von drei Straßenzügen und die vor dem Frontgarten hat keinen Bürgersteig. Natürlich arbeitet er tatkräftig mit, wo immer es geht. Lahme Rechte und relativ instabiler Stand tun ihr Übriges. Daher ruht er meistens im Sessel, während ich arbeite. Es sei denn, wir stemmen eins der gemeinsamen Projekte. Am Ende des Sommers haben wir es z. B. den Thujen auf der Gartenseite ordentlich mit der Motorsäge gegeben. Da war er richtig hilfreich und natürlich der Boss. Beete, Gardinen, Deko, Wäsche – alles Refugium der Queen. Na ja, wenn sie nicht kommt, wir können auch Wäsche. Manchmal hat sie das Haus in Unfrieden verlassen und eine Woche lang nicht.

Die Straße schafft außer mir keiner mehr. Aber mit ihren flotten Vierundachzig kann sie noch Auto fahren. Bis auf den Totalschaden, als eine sonnengeblendete Queen den Hügel in der Mitte eines Kreisverkehrs für die Fortführung einer ansonsten kerzengeraden Straße hielt. Road to nowhere – sie blieben im Hügel stecken. Anschließend hat er den silbernen Benz gekauft. Von seinem Schornsteinfegermeister. All das geschah, bevor ich die Bühne seines Lebens betrat. Er ist keine Katze. Soviel ist sicher. Was der Mann überlebt hat, reicht für weit mehr als sieben Leben. Da brauchst du Geduld, um nur ansatzweise durchzublicken. Er erzählt nur Ausgewähltes und durcheinander. So von Woche zu Woche, meine ich.

Very special

„Sie behandelt die Wäsche, Martin, du glaubst es nicht! Wie Profis es tun. Gebügelt, gefaltet und gestärkt“, sagt er immer, wenn der Zweifel an ihrer Integrität zu stark nagt. Dann wirft er eine Kussgeste schnalzend von den Lippen, hinauf in die Luft. Um zu unterstreichen, wie nützlich die Queen ist. Arzttermine, Bankgeschäfte, Kleiderkauf und was sonst so anliegt, alles hat sie stets zur vollen Zufriedenheit ihres alten Freundes begleitet, erledigt, besorgt. Beide kennen sich seit 17 Jahren. Die Queen erscheint im Lauf der Woche gewöhnlich nach mir. Dann begutachtet sie, was ich eventuell falsch gemacht haben könnte. Es ginge mit dem Teufel zu, fände sie nichts. Das amüsiert uns natürlich. Er macht Andeutungen, was gefunden wurde, sagt aber auch: „Martin, du bist perfekt“. Schon haben wir wieder Spaß, denn ich antworte: „Selbstverständlich. Anders würde man es bei dir auch nicht aushalten.“ Die alte Dame ist, nach seinen Worten „very special“ und sogar Ursache meines Erscheinens in seinem Leben. Denn kurz zuvor lief beim Käpt’n verdammt viel schief. Dagegen war ein überlebter Totalschaden nur laues Vorgeplänkel.

image.png

Die ganze Geschichte:

Teil 1 Der rote Stern von Moskau
Teil 2 ist jetzt zuende aber
Teil 3 wartet schon auf seine Leser.

🗦QUAK – RIBBIT🗧
Modernise steemit.com Interface
Stimme ab für ein modernes Steemit Frontend!


Weil dies die Urlegung einer Erzählung ist, die der Autor in #deutsch auf dem Steem urlegt, gebe ich seit geraumer Zeit das Schlüsselwort #steemexclusive an. Das soll ich tun. Nicht weil man das aus Gründen des Copyright tun muss, oder weil sich Google dafür interessiert, nein. Ich tue es weil … tue es weil … pffft! – ganz ehrlich? Ich habe keine Ahnung, warum. Bekommt man damit mehr Votes? Das kann man nie wissen.

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 3 months ago 

Hallo Martin , die Erzählung vom Käpt‘n Dir und dieser Frau macht Hunger, auf mehr davon . Ich habe seit Kind einen , wie soll ich es nennen, drang mich mit alten Menschen auszutauschen, gefühlt habe ich für fast jedes Thema einen anderen Greis , was mich an alten Menschen am meisten interessiert ist ihre Lebensgeschichte, Erfahrung .
Als Kind musste ich die Menschen ja schon analysieren, den das gehört zum Viehhandel dazu , vielleicht kommt daher mein Drang mich besonders mit älteren Menschen zu unterhalten.
Danke für die schöne Erzählung und bestell dem Käpt‘n schöne Grüße 👍
VgA🙂

 3 months ago 

Danke fürs Lesen und deinen netten Kommentar, Atego. Du wirst sicher mehr von dem Stoff bekommen. Ich glaube, den von dir erwähnten Drang haben alle Menschen und in einer intakten Gesellschaft ist das auch ganz normal, weil sich Menschen austauschen. Dabei ist es vollkommen gleich, welches Alter sie haben. Erfahrung ist immer ganz individuell. Alleine deshalb kommt sie uns in jedem Fall interessant vor. Und dann ist sie auch wieder nicht individuell, weil uns eine ständig wechselhafte Zeitgeschichte prägt.
Mein Interesse am Käpt'n geht aber über Alltägliches oder auch Grundsätzliches weit hinaus. Weil er ein ausgesprochen ungewöhnliches Leben geführt hat und noch immer führt, bin ich zum Miner des Ungewöhnlichen geworden, das immer wieder in seinen Erzählungen hervor tritt. Bleibe also gespannt. Ich fange gerade erst an zu schreiben.

Старики интересные, вы правы! А вам похоже особенно повезло. И взаимопонимание сложилось.
Отличный способ добавлять вертикальные фотки!

Old people are interesting, you're right! And you seem to be particularly lucky. And mutual understanding has developed.
A great way to add vertical photos!

 3 months ago (edited)

Thank you for reading and commenting, avoicest. And thank you to say, old people are interesting. I'm in my seventies, old as well.

To add vertical photos is very difficult. You have to change to HTML inside a DIV container. It is difficult to fix it in position and anyway, the placement depends on resolution and zoom of the readers screen. Please have a look on the headline Weibliche Note. The position is not desired and cannot be changed to the normal position. I call it HTML-Markdown Voodoo. Our editor is a painful mess.

Я думала вам лет 40+ как Горилле. =)

Вы правы, контейнер DIV (< div class="pull-left"> </ div>) сложно закрепить, неожиданно ездит по экрану.

I thought you were 40+ years old like a Gorilla. =)

You are right, the container DIV (< div class="pull-left"> </ div>) is difficult to fix, it unexpectedly travels across the screen.

Hey,
I saw your vote under my post today.

Long time - no see 🤔

 last month (edited)

Oh dear, oh dear! For four weeks now, my metabolism has been ruled by fungi. In the first two weeks a Helicobacter Pylori was successfully eliminated. But suddenly I was peeing razor blades. The subsequent two-week invasion of a Levofloxacin Aurobindo introduced me to the psychogenic effects of a fungus for the first time in my life. This was the not so unpleasant effect of two nights of fever and is one of the common side effects. One of the rare side effects (1/1000) is failure of the archilles tendon. On both sides. A messenger substance that is necessary for the division of bacteria is suppressed. Unfortunately, this is then also missing in the tendons. I can only walk like Joe Biden at the moment. You understand, eighty years old, after a stroke and rehab, with all the weight of the world on my back.
Tendon rupture is imminent and running is painful too. Stairs become a challenge. So I have a lot of time, but not much energy. I need it for my job and the bare essentials.
The glimmer of hope: I swallowed the last mushroom today. Things can only get better. But there's no guarantee of that. After all, science has developed a better antibiotic that promises over 50% effectiveness with fewer side effects.

Edit:
Thanks for waking me up!

Translated with DeepL.com (free version)

O my my
That sounds like a rollercoaster of challenges you've been through lately. Dealing with those side effects must have been incredibly tough, especially when it affects your mobility and energy levels so significantly. It's understandable to feel concerned and worn out, but please know that you're not alone in this. Your resilience in facing these difficulties is truly admirable. I sincerely hope that the new antibiotic brings you the relief and comfort you deserve. In the meantime, take all the time you need to rest and prioritize your well-being. If there's anything I can do to support you, even just lending an empathetic ear, I'm here.

P.S. I had a feeling that you might be going through something, call it intuition or whatever. I really hope you get better real soon. I'm confident that things will improve because of your positive attitude and beautiful sense of humor.

Take care

 last month 

Thank you for all the kind words, wishes, feelings and your awareness.
I'm sorry, but the new antibiotika is not good for me because the authorities have not legalized it for now. It's pretty new and takes time to reach the people. It was in the news last week. The thing I had, has only 40% effectiveness and my great hope is, that all the bacteria has gone now. I would be not amused about to test anothers fungi side effects for the next two weeks.

Wenn du willst, dass die ganze Straße sauber ist, dann meti vor deinem Hof. Das sind die Worte von Leo Tolstoi. Ältere Menschen haben immer mehr gesehen und wissen mehr als wir, Sie können viele interessante Dinge von ihnen lernen. Aber es ist sehr schwierig, mit alten Leuten zu kommunizieren. Alte Menschen als Kinder können beleidigt sein, sie können schweigen und umgekehrt, wenn Sie ihnen gefallen, werden sie Ihnen alles über ihr Leben erzählen. Sie haben eine gute Geschichte bekommen, sie muss fortgesetzt werden.

 3 months ago 

Danke fürs Lesen und den netten Kommentar, vispasian.

Wenn du willst, dass die ganze Straße sauber ist, dann meti vor deinem Hof.

Ich habe von der russischen Literatur nicht viel Wissen. Was bedeutet meti? Heißt das, dann kehre vor deinem Hof?

Ich erzähle ihm von meinem Leben. Dann erzählt er auch von seinem. Es bleiben aber immer nur Bruchstücke, die ich dann versuche, in einem zeitlichen Rahmen anzuordnen. Ja, es macht großen Spaß, diesen Mann jede Woche zu treffen.

Wenn jeder das tut, wird die ganze Straße sauber sein.“ .. Auf Deutsch sollte dieser Satz von Leo Tolstoi so klingen.

 3 months ago 

Danke.

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