Zentrum der Demokratie

Früher kannte man den so genannten Wahlkampf derart:

Verschiedene Parteien haben Stände, drücken einem Flyer in die Hand. Verschiedene Parteivertreter treiben sich auf den Ständen rum und man kann mit ihnen reden. Die Stadt ist voll von Plakaten, die mit Losungen verschiedener Parteien verziert sind. Im Fernsehen gab es offene Diskussionen verschiedener Parteien, im Bundestag gab es heftige Auseinandersetzungen. Manchmal war ein Plakat verziert mit "Lügner" oder "Verräter".

Das galt als normal.

Heute sieht Wahlkampf in Berlin so aus:

Drei Parteien pflastern die ganze Stadt zu. Linke, Grüne, SPD. Die anderen hängen erst gar keine Plakate auf, weil sie wissen, dass sie zerstört werden oder verschmiert. Was ja kein Wunder ist, denn sie sind undemokratisch und voll nazimäßig drauf. Da ist keine Toleranz angesagt. Ist zwar eine Straftat, aber die Berliner Staatsanwaltschaft tut halt, was der Dienstherr, also der Senator, ihr vorgibt. Nämlich nix. Hin und wieder sieht man noch "Die Basis" - damit kann noch keiner was anfangen, daher lässt man sie gewähren.

In manchen Bezirken der Stadt sind Plakate der CDU zugelassen. Wenn sie hängen, dann sind sie fast garantiert verunziert. Hier und da FDP, vereinzelt, aber meist nur kurzfristig und mit schönen Sprüchen versehen: "Tod den Kapitalisten" oder so ähnlich. Kapitalismus ist ja auch wirklich scheiße, v.a. als politisches System.

Von der anderen Partei habe ich bisher weder Plakat noch einen Stand gesehen. Wäre ja auch ziemlich lebensmüde. Wäre ja auch noch schöner, wenn die ihre Hassparolen einfach verbreiten könnten.

Um also Diversität, Buntheit und Toleranz, v.a. aber Demokratie zu fördern, schaltet sich nun der philantropische Weltkonzern Philip Morris (Motto: "Rauchen and more") ein und fordert auf zu wählen. Wobei sich das nicht auf alle erstreckt, denn falsche Wahlen werden ja bekanntlich rückgängig gemacht - sowas braucht wirklich keiner. Wenn das Wahlvolk sich falsch entscheidet, muss man es vor den Konsequenzen seiner Dummheit schützen.

Wer meint, dass sich unsere Parteienlandschaft uniform verhält, hat übrigens nix verstanden. Einen Leckerbissen hat Leroy auf dem Marsch zur Frittenbude seines Vertrauens an der Osloer Straße, im Zentrum des Laboratoriums der Zukunft des neuen Deutschlands (oder wie auch immer die EU-Region in ein paar Jahren heißen wird).

Hier kann man übrigens noch politische Karriere machen:

Hier gibt es mehr Info. Leroy hält die Partei für einen guten Kompromiss zwischen der greisen AfD und der Partei des trampolinspringenden Schummellieschens.

Nachdem ich die Currywurst mit Schärfegrad 8 mit letzter Mühe und unter Schweißausbrüchen verzehrt hatte, schummelte ich mich an der Bakterienpartei vorbei zur Stadtbibliothek Mitte am Luisenbad, direkt an der Panke. Zwischen Müllhalden und Hundescheiße findet sich dort eine wunderschöne Bibliothek, die man - nebst etlichen anderen Stadtteilbibliotheken, die wirklich vorzüglich ausgestattet sind - zur Zeit mit Maske besuchen darf.

Für 10 Euro im Jahr dürfen Berliner und Brandenburger Mitglied werden, was wirklich geschenkt ist. Zugang zu allen Bibliotheken der beiden Länder, kostenfreie Ausleihe, Zugang zu Online-Diensten, Zeitungen, Sprachkursen - unglaublich. Schade, dass das so wenig genutzt wird.

Die Mitarbeiter waren sehr freundlich und zuvorkommend. Steuergelder ausnahmsweise mal in meinem Sinne ausgegeben. Offenbar fast nur in meinem. Denn Leroy war fast der einzige dort.

Während Leroy in dem Ufo saß und nach draußen blickte, hatte er genug Zeit nachzudenken, ob und wem er seine wichtige, für die Demokratie unabdingbare Stimme ganz im Sinne von Philip Morris zu geben gedenkt.