warum uns litfaßsäulen so unglücklich machen

in #streetart5 years ago

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saeule_I.JPG
eine litfaßsäule in berkastel-kues

litfaßsäule

gen himmel ragende säule
ein zeichen unserer zeit
zu lob und preise des kommerzes
den falschen weg uns stetig zeigt
verbreitet so manche lüge
bedürfnisse die nicht bestehen
macht schädigenden fraß gesund
und alle zu gourmets

KÄPT`N KALLE

ein philosophischer exkurs über die werbung

eines der zehn gebote lautet: „du sollst kein falsches zeugnis reden gegen deinen nächsten!“ kaum ein anderes gebot wird wohl in der öffentlichkeit mehr verachtet und verhöhnt, wie dieses. bei der erziehung der kinder wird ehrlichkeit als etwas wichtiges vermittelt. doch was erleben sie in unserer welt? ein paar schritte durch die straße und sie begegnen lügen, überall nur lügen, nichts als lügen. kein weg ohne große bunte lettern, ohne digital manipulierte darstellungen, ohne grelle bilder an wänden oder säulen, die passanten allesamt belügen und betrügen. ein steter begleiter ist der versuch den vorrüberschreitenden zu überzeugen, nicht glücklich zu sein. es soll der eindruck entstehen mangel zu leiden, der mit dem kauf eines neuen produktes beendet werden könne. nur so sei der zustand der glückseligkeit zu erlangen. dabei ist es egal, dass der mensch die meisten produkte gar nicht braucht. sich glücklich kaufen ist ein ding der unmöglichkeit, auch wenn inzwischen ein einkaufsladen so heißt. leider scheinen jedoch nur die wenigsten über dieses wissen zu verfügen.
um immer neue bedürfnisse zu schaffen wird das erscheinungsbild der städte immer drastischer verändert. was einst mit wild in die stadt gehängten plakaten begann, wurde von ernst litfaß mit annoncier-säulen weiter ausgebaut. nach absprache mit der berliner polizei erhielt er die genehmigung für die aufstellung zahlreicher säulen. neben der eindämmung des wilden plakatierens war jetzt auch eine zensur möglich und natürlich eine neue einnahmequelle geschaffen. der findige drucker hatte somit sein geschäft erfolgreich erweitert. in kürzester zeit verbreitete sich seine idee in der ganzen welt. mit ernst litfaß blieb die entwicklung der stadtmöbel jedoch nicht stehen. riesige bildschrime, die bewegte bilder zeigen und personalisierte werbung, die heute schon menschen im vorbeigehen individuell eingeblendet wird, treiben inzwischen das vorgehen der werbeindustrie auf die spitze. ermittelte daten dienen dann dazu, die schwächen des menschen auszunutzen, um ihn noch mehr produkte verkaufen zu können. wir versinken im müll, haben alles doppelt und dreifach und meinen noch mehr zu brauchen, weil wir permanent unglücklich sind. dabei merken wir nicht, dass wir alles im überfluss besitzen und es nicht die materiellen dinge sind, die darüber entscheiden zufrieden zu sein. diese falschen vorstellungen sind das ergebnis einer absolut perfiden werbewelt, auf die der mensch immer wieder nur zu gerne reinfällt.
gefällt das spiegelbild nicht und soll das äußere einem model entsprechen muss nur die richtige cremes oder schminke schminke gekauft werden. ist das äußere nicht sportlich genug ist, dann muss nur ein neuer sportanzug gekauft werden. soll die ernährung der eines models oder star entsprechen, muss nur in einem fastfood restaurant essen gekauft werden. fehlt der richtige partner, muss nur eine anmeldung auf der richtigen singlebörse erfolgen. für alles bietet der kommerz eine lösung. ob diese am ende wirklich das problem aus der welt schaft interessiert die anbieter nicht. das einzig interessante, welches der potenzielle kunde besitzt ist geld. der kunde ist längst kein könig mehr. Er ist nur mittel zum zweck und wird dummerweise für die absatzzahlen benötigt.
diese entwicklung wird ebenso, wie die gestaltung des öffentlichen raumes durch werbung, kaum in frage gestellt. jeder ist gezwungen inhalte, bilder und texte zu konsumieren unf fast niemand stört sich erschreckenderweise an diesem zwang. dabei spielt es keine rolle, ob jemand mit den inhalten einverstanden ist oder nicht. auch moralische aspekte werden völlig außer acht gelassen. hauptsache die werbeflächen spielen ein wenig geld in die klammen stadtkassen ein und die werbung kritisiert nicht das bestehende herrschaftssystem. dann ist alles erlaubt: das aufstellen solcher werbeträger vor schulen und kindergärten, die vermittlung völlig verzerrter und krankhafter schönheitsideale, sowie die anpreisung ungesunder und/oder unter unethisch und verwerflichen bedingungen produzierter waren. rücksichtslos eignet sich die werbeindustrie mit ihren lügen auch noch die letzten verbliebenen freien flächen im urbanen raum an. auch die politiker bedienen sich im wahlkampf mit ihren lehren phrasen gerne dieser flächen. wer werbung einfach so hinnimmt sollte sich weder über die zunehmende oberflächlichkeit und unzufriedenheit in der gesellschaft noch über die inflationäre verwendung von superlativen wundern oder sich gar darüber beschweren. es ist an der zeit die werbung im öffentlichen raum mehr als nur in frage zu stellen. wir haben eine verantwortung für die mitmenschen, besonders denen gegenüber, die sich nicht gegen diesen wahnsinn wehren können.
KÄPT`N KALLE und zahlreiche weitere selbstautorisierte künstler agieren im urbanen raum ganz ähnlich wie die werbeindustrie und haben sich methoden dieser branche an- und abgeschaut. dabei geht es nicht darum, etwas zu verkaufen oder in konkurenz mit der werbewelt zu treten. das vorgehen der werbeindustrie soll in frage gestellt werden. das aufhängen von plakaten die für produkte werben, die durch kinderhände erstellt wurden ist erlaubt, auch krankmachende und ungesunde produkte, hergestellt für kinder, dürfen an jeder straßenecke beworben werden. wenn ein künstler jedoch unauthorisiert ein plakat aufhängt oder ein sprühbild hinterlässt und somit die gestaltung des öffentlichen raumes in frage stellt ist dies eine straftat. wer ein plakat zerstört, übersprüht oder abreißt begeht eine straftat. wie absurd ist es, dass beispielsweise autokonzerne mit ihren maßlos untertriebenen verbrauchsangaben, die sich auf den plakaten finden lassen, keine straftaten begehen.
selbstverständlich ist die werbung nicht nur auf den öffentlichen raum beschränkt. auch im internet, radio, fernsehen oder der zeitung findet diese art der belästigung statt. doch hier besteht die möglichkeit durch ad-blocker, abschalten oder zuschlagen dem ganzen ein ende zu bereiten. im öffentlichen raum ist dies nicht möglich. auch den blick abzuwenden hilft nicht, denn dann taucht direkt die nächste werbebotschaft im sichtfeld auf.

hier ist eine kurze dokumentation mit weiteren informationen und anregungen zum thema adbustig:

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