Adipositas - einmal hin und zurück
Heute möchte ich etwas in meine Vergangenheit blicken. Und zwar in eine Zeit, in der ich mich kaum wieder erkenne. Es ist keine schöne Erinnerung und ich kann mich mit der damaligen Person nicht mehr wirklich identifizieren, aber dennoch ist es eine Station meines Lebens, die mich letztendlich an diesen heutigen Punkt gebracht hat. Es geht um Übergewicht, die Ursprünge und Auswirkungen und letztendlich um meinen Weg mein Gewicht reduzieren zu können.
155Kg - 100Kg
Warum kam es überhaupt so weit?
Diese Frage stellt sich bestimmt jeder, der adipös ist und nun vor der Aufgabe steht, das zu ändern. Ich war schon in meiner Kindheit kräftig. Aufgewachsen bin ich in einem Haus in dem in der unteren Etage meine Großeltern lebten. Ihr kennt doch auch so Omis, die immer etwas Schokolade für die Enkel da haben und nicht nein sagen können. Wenn ich traurig war saß ich dann unten bei meiner Oma und wurde mit tröstenden Worten und Trostschokolade aufgemuntert. Mein Hirn merkte sich, wenn ich Schokolade esse, geht es mir besser. Natrlich aß ich bei meinen Eltern sonst normal mit und auch die achteten nicht besonders auf gesunde Ernährung und es gab oft süßen Nachtisch. Als Kind hatte ich da natürlich keinen Maßstab, wieviel denn gut für mich wäre und da ich auch wusste, wo die Süßigkeiten bei meiner Oma lagen, musste ab und zu eine Tafel Schokolade dran glauben. Also wurde der kleine Bastian immer runder und meine Mitschüler fingen an mich entsprechend zu titulieren und ich schämte mich für meinen Körper und vor allem meinen Männertitten.
Erst drückte ich mich vor dem Schwimmunterricht in der Schule, dann zog ich mich auch in der Freizeit immer weiter zurück, weil ich mich den anderen nicht aussetzen wollte. Im Sportverein gab es als lustige Aufwärmübung manchmal Huckepack oder Schubkarre - aber einen übergewichtigen Jungen kann kein Altersgenosse umhertragen. Also verband ich mit der Zeit auch den Sportverein mit negativen Gefühlen. Wenn ich dann traurig zu Hause saß sagte mein Hirn iss Schokolade, das tröstet dich doch immer. Von aussen betrachtet sieht jeder sofort, was für eine dumme Idee das ist, aber als Betroffener schiebt man das weg. 1000 Nadelstiche später, nach abwertenden Aussagen von Freunden und Lehrern, nach negativen Reaktionen von der Frauenwelt und nach zahlreichen demütigenden Erlebnissen beim Anprobieren von Kleidung reifte die Überzeugung nichts wert zu sein. Aus der Einsicht zu viel Essen sei schlecht für mich wurde beinahe ein selbstverletztendes Verhalten durch das ich aß bis ich Magenschmerzen hatte und es mir scheiße ging. Es folgten körperliche und psychische Probleme und die mir nahe stehenden Menschen sorgten sich sehr um mich.
Und irgendwann... hat es endlich klick gemacht.
Ich wünschte ich könnte euch sagen wieso, aber ich kann es nicht. Ich beschloss das Thema Gewichtsreduktion endlich ernsthaft anzugehen und zwar nicht einfach so, sondern auf eine Art, die zu mir passt - erst wissen aneignen und dann mittels harten Zahlen, Fakten und Statistiken. The Nerd Way halt. Klar geworden ist mir dabei aber eins: Der Wunsch und der Antrieb etwas zu ändern muss aus dir selbst kommen.
1. Bildung - Wie funktioniert mein Körper eigentlich?
Sicher wissen fast alle Übergewichtigen grob, was gesundes Essen auszeichnet und was eher ungesund ist und dick macht. Es gibt die absurdesten Diätpläne und -programme, doch durch die lernt man nur selten, wie man die Ernährung dauerhaft umstellt um gesünder zu leben. Und dauerhaft diese absurden Regeln einhalten möchte ja auch niemand. Also begann mein Weg damit mir einen Überblick zu verschaffen, wie das mit dem Stoffwechsel und dem Abnehmen eigentlich aus wissenschaftlicher Sicht funktioniert. Schnell stolpert man dabei über Grundumsatz, Leistungsumsatz, Kalorien, Kohlenhydrate, Fett, Eiweiß usw. Mir wurde recht schnell klar, dass die Diätprogramme zwar alle unterschiedliche Regeln und Ansätze haben, aber letztendlich auf eine Einheit runter zu brechen sind: Kalorien. Statt also WW-Punkte zu zählen oder die tägliche Fettzufuhr zu messen nahm ich den direkten Weg und zählte die Kalorienzufuhr. Es gibt im Netz zahlreiche Datenbanken, in denen man die Nährwerte erfährt. Wenn man selber kocht, kann man alles abwiegen und weiß genau, wieviel Energie darin steckt. Unterwegs ist dann leider eher schätzen angesagt. Aber wie viele Kalorien darf ich denn nun zu mir nehmen, damit ich abnehme?
Grundsätzlich ist es einfach:
Nimmt man mehr Kalorien zu sich, als der Körper verbraucht, dann nimmt man zu.
Nimmt man weniger Kalorien zu sich, als der Körper verbraucht, dann nimmt man ab.
Dabei unbeachtet lasse ich jetzt mal die täglichen Schwankungen durch die Verdauung und Wassereinlagerungen. Ohnehin ist ein guter Tipp, sich nicht täglich sondern am besten wöchentlich zu einer festen Zeit zu wiegen.
Schön und gut, aber wie viele Kalorien verbraucht mein Körper denn?
Dazu gab es zum Glück schon jede Menge Studien. Der Kalorienverbrauch gliedert sich in den Grundumsatz und den Leistungsumsatz auf. Der Leistungsumsatz ist von den Tätigkeiten abhängig, die man über den Tag so macht - Rumliegen verbraucht logischerweise weniger Kalorien als Joggen, Schreibtischarbeit weniger als Minenarbeit. Beim Grundumsatz spricht man von dem Kalorienbedarf, den der Körper bei Ruhe benötigt um einfach nur zu leben. Die ist von Größe, Gewicht, Geschlecht (eigentlich Anteil der Muskelmasse) und dem Alter abhängig und wurde praktischerweise in handliche Formeln gegossen, die eine gute Näherung an den tatsächlichen Wert liefern.
🤸♀️: BMR = 655 + (9.6 x Gewicht in kg) + (1.8 x Größe in cm) - (4.7 x Alter in Jahren)
⛹️♂️ : BMR = 67 + (13.7 x Gewicht in kg) + (5 x Größe in cm) - (6.8 x Alter in Jahren)(1)
Im Internet findet ihr zum Glück Rechner, in die ihr nur noch eure Ausgangwerte eingeben müsst. Den Taschenrechner könnt ihr also wieder weglegen ;). Was wir sehen ist, dass der Kalorienverbrauch im Alter abnimmt (was aber vermutlich nur statistische Gründe hat) und das der Grundumsatz höher ist, je mehr Körper da ist (mehr Gewicht, mehr Größe). Letzteres hat den Vorteil, dass zu Beginn große Fortschritte gemacht werden können, später sinkt der Kalorienverbrauch aber leider etwas ab und bei gleichbleibender Ernährung wird die Abnahme langsamer.
Nun weiß ich also, wie viele Kalorien ich in etwa verbrauche. Aber wie viele soll ich nun einsparen?
Schwer zu sagen. Hier gilt es zum einen die Nährstoffversorgung aufrecht zu erhalten, auch und vor allem die Eiweißversorgung (etwa 0,8g pro Kg Körpergewicht (2)) und natürlich auch die Motivation beizubehalten. Eine mögiche Strategie ist es, auszurechnen wie hoch der Kalorienverbrauch beim Erreichen des Wunschgewichts sein wird und sich daran oder knapp darunter zu orientieren. Dann muss man nur eine Ernährungsumstellung vornehmen und nicht später eine erneute. Mir war es wichtig ein Gefühl für die Menge und Zusammensetzung der Mahlzeiten zu bekommen und meinen neuen Lebensstil langfristig durchziehen zu können. Aber es führen viele Wege ans Ziel.
2. Gewohnheiten - Fluch und Segen zugleich
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und Gewohnheiten sind gut und wichtig, weil sie uns das Leben erleichtern und wir unsere Aufmerksamkeit auf andere Dinge richten können. Aber manche unserer Gewohnheiten arbeiten gegen uns und unser Ziel: Ich fahre immer mit dem Auto zum Einkaufen. Ich esse immer 2 Teller Auflauf. Ich Esse beim Fernsehen immer Chips. Man tut es, weil man es immer tut. Man denkt nicht darüber nach. Wenn wir unser Leben ändern wollen, müssen wir neue Dinge tun und alte, ungesunde Dinge unterlassen. Und aus Erfahrung kann ich euch sagen, Gewohnheiten aufgeben ist 1000mal schwerer als Gewohnheiten aufbauen. Am besten funktioniert es noch, wenn man eine Gewohnheit durch eine andere ersetzt. Statt beim Fernsehen Chips zu essen könnt ihr etwas gesundes essen oder meinetwegen ein Handyspiel nebenbei daddeln. Zwei Gewohnheiten die ihr euch nun aneigenen solltet sind 1. Kalorien zählen und ggf. Nahrungsmittel abwiegen und 2. Bewegung in euren Alltag integrieren. Es muß nicht zwingend krasser Sport sein. Für den Anfang reicht es, mehr Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu machen. Ich weiß, dass euer Zustand vielleicht nicht gut ist und jede Bewegung anstrengend. Und ihr sollt euch auch etwas aussuchen, dass zu eurem körperlichen Zustand passt. Aber ihr müsst anfangen. Es macht alles viel leichter. Nicht nur euch. Ich war absolut unsportlich als ich begonnen habe abzunehmen, doch nach einigen wochen fehlte mir plötzlich etwas, wenn ich mal 1-2 Tage keinen Spaziergang oder eine leine Radtour gemach habe. Ich fand das damals unglaublich.
3. Ehrlichkeit und Konsequenz - Hier entscheidet es sich!
Gerade zu Beginn solltet ihr konsequent sein und wirklich wiegen, aufschreiben und nichts unter den Tisch fallen lassen. Menschen können Kalorien nur sehr schlecht schätzen(3) und auch wenn ihr denkt ihr habt das alles im Kopf macht ihr euch etwas vor. Ihr wollt etwas ändern und nur ihr habt es in der Hand das auch zu tun. Ich weiß, dass es schwer ist sich einzugestehen, wenn es mal scheiße läuft und eben doch der Frust einsetzt und man die ganze Tafel Schokolade verputzt. Aber nur, weil ihr sie nicht aufschreibt macht ihr es nicht ungeschehen. Seid ehrlich euch gegenüber. Gesteht euch Schwächen und Fehler ein, aber lasst euch nicht dazu hinreißen Jetzt ist es ja auch alles egal zu denken. Es kommt darauf an einen neuen Lebensstil und eine Resilienz gegen Rückschläge aufzubauen. Und wenn es euch zu schwer fällt euch selbst gegenüber ehrlich zu sein, dann sucht euch eine online oder offline Gruppe mit Gleichgesinnten, tauscht euch aus und legt dieser Personengruppe regelmäßig Rechenschaft ab. Mir hat das geholfen.
Mein Weg - Nicht gradlinig aber stetig
Das klingt ja alles ganz einleuchtend, aber funktioniert das auch? Ja tut es. Es ist nicht einfach und wie oben schon erwähnt gibt es immer wieder Rückschläge. Aber ich habe mich jedes Mal wieder gefangen, weil ich weiß wie es geht und weil ich weiß, wie motivierend es ist, wenn man die Erfolge sieht, die man auf diesem Weg erreicht.
Die Werbung würde jetzt sagen:
Ich habe in 4 Monaten 30Kg abgenommen und SIE können das auch!
Ich ergänze dazu: Also vielleicht... kann auch mehr oder weniger sein, das kommt natürlich auf den individuellen Körperlichen Zustand und Lebensstil an, das wisst ihr ja jetzt. Und auf die Geschwindigkeit kommt es ja auch gar nicht an, auch wenn alle Diäten uns das weiß machen wollen. Für uns ist es eine endgültige, erfolgreiche Umstellung unserer Ernährung. Ob die jetzt 4 Monate oder 4 Jahre dauert ist egal, solang sie bis zum Lebensende anhält.
Aber um euch zu zeigen was möglich ist auch ohne sein Leben nur noch im Fitnessstudio zu verbringen seht ihr hier meinen Weg. Und ihr seht auch, dass es in Monat 7 einen Rückschlag gab. Das ist ok, es ist nur wichtig, dass man am Ball bleibt. Und es blieb auch nicht mein einziger Rückschlag. Das Thema Ernährung wird wohl immer ein Thema in meinem Leben bleiben, wie mich auch andere Dinge aus meiner Kindheit für immer begleiten werden. Aber da ich das weiß, kann ich auch darauf achten.
Monat | Gewicht |
---|---|
Monat 00 | 163,0 Kg (Beginn der Ernährungsumstellung) |
Monat 01 | 153,0 Kg |
Monat 02 | 145,4 Kg (Beginn des regelmäßigen Radfahrens) |
Monat 03 | 139,4 Kg |
Monat 04 | 133,5 Kg |
Monat 05 | 127,7 Kg |
Monat 06 | 125,5 Kg |
Monat 07 | 12?,? Kg (7 Wochen Pause wegen... Doofheit und Feiertagen) |
Monat 08 | 129,8 Kg |
Monat 09 | 124,4 Kg |
Monat 10 | 119,8 Kg |
Monat 11 | 117,1 Kg |
Monat 12 | 113,0 Kg |
Monat 13 | 110,3 Kg (Beginn Krafttraining) |
Monat 14 | 110,7 Kg |
Monat 15 | 106,8 Kg |
Monat 16 | 105,8 Kg |
Monat 17 | 102,2 Kg |
140Kg zu 100Kg
Quellen:
(1) https://www.smart-rechner.de/kcal_bedarf/rechner.php
(2) https://www.netdoktor.de/ernaehrung/eiweiss/eiweissbedarf/
(3) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC1551968/
Dieser Post nimmt an der interaktiven Neulingschallenge 2.0s von @theaustrianguy teil.
Das Schlimme ist wenn man Übergewichtig ist, das man selbst es gar nicht so wahrnimmt. Bis zu den Moment wo man es anpackt.
Eine Sehr tolle Leistung und ausdauer. Und sehr gut das du die Ernährung mit Sport kombinierst.
Der Satz( Zitat): "Am besten funktioniert es noch, wenn man eine Gewohnheit durch eine andere ersetzt". Da kann ich dir voll zustimmen.
Hi Bastian,
das ist ein enormer Erfolg, an dem du sicher wahnsinnig hart gearbeitet hast. Du kannst wirklich stolz auf dich sein. Hast du noch vor, weiter abzunehmen, oder fühlst du dich jetzt wohl so? Du siehst jedenfalls gesund und schlank aus auf dem rechten Bild. Top.
Als ich endlich den Schritt gewagt und angefangen habe, abzunehmen, kam auch mein Willen wieder, Gewichte zu stemmen wie in meiner Jugend.
Ich habe später nochmal in einer Krisenphase bis 122Kg zugenommen und habe anschließend nochmal bis 94Kg abgenommen. Und um die 95Kg ist auch ein Gewicht, bei dem ich mich hervorragend fühle.
Weiterhin alles Gute. Ich versuche mich in diesem Jahr mit einem gesteckten Kilometerziel im Fahrradfahren fit zu halten und gleichzeitig die Waage davon zu überzeugen, dass sie irgendwann die 90 Kg anzeigen möge ;)
Irgendwann macht es „Klick“ - gut wenn man den Moment gut erwischt 👍 weiter so!
Respekt zu dieser Verwandlung, echt stark!
Meine Hochachtung.
Ich sehe, nicht nur dein Gewicht, auch deine Körperhaltung hat sich positiv geändert. Wohl durch das Kraftraining?
Dankeschön. Wahrscheinlich eine Kombination aus Krafttraining und gestärktem Selbstvertrauen.
Tolle Leistung. Deinen Text kann sich so mancher ausdrucken und als Motivation auf hängen :).
Du siehts übrigens auf dem echten Bild nicht nach 102KG aus, aber da sieht man ja auch nicht wie groß du bist.
Danke, vielleicht hilft es ja jemandem :). Ich bin 1,86m also eigentlich immer noch deutlich über dem empfohlenen Gewicht. Aber dank der breiten Schultern sieht man es mir nicht so an.
Ja das kenn ich, ich hatte Mitte letzten Jahres bei 1,77m auch um die 100Kg.
Geglaubt hat mir das keiner :D
Respekt!
Super, Mann!